«Weitgehende Übereinstimmung» mit Macron - Schulz spielt Europa-Karte Von Tim Braune und Christian Böhmer, dpa

20.07.2017 21:26

Punktesammeln beim europäischen Hoffnungsträger Macron: Der
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sieht sich mit dem Pariser
Senkrechtstarter auf einer Wellenlänge. Schulz glaubt: Ich kann
Europa besser als Merkel.

Paris/Berlin (dpa) - Je näher die Bundestagswahl rückt, umso häufiger

und voller Esprit spricht Martin Schulz von seinem «Freund» in Paris.

«Ja, Emmanuel, meine Partei unterstützt mehr Investitionen in
Deutschland und Europa», rief der SPD-Kanzlerkandidat am vergangenen
Sonntag bei der Präsentation seines «Zukunftsplans» in Berlin dem
französischen Präsidenten Macron zu. Schulz liegt zehn Wochen vor der

Bundestagswahl in Umfragen weit abgeschlagen hinter der CDU-Kanzlerin
Angela Merkel.

Nun will er im Endspurt seine Europa-Kompetenz ausspielen. Und ein
bisschen vom Glanz des neuen, jungen und sozialliberalen Präsidenten
in Paris profitieren. An der Seine stellt er «weitgehende
Übereinstimmung» mit dem 39 Jahre alten Politstar fest.

Wahlkampf an der Seine - bringt das etwas?

Im Wahlkampf sind Bilder eine wichtige Währung. Seit' an Seit' mit
Europas Hoffnungsträger Macron kann Schulz zeigen, dass er auf
internationalem Parkett eine gute Figur macht. Bislang tingelte der
Merkel-Herausforderer meist über die Dörfer - das schafft zwar
Bürgernähe und stärkt Schulz' Image als Kleine-Leute-Versteher. Es
bringt ihn aber selten auf die Titelseiten.

Ganz anders Merkel. Bei diversen Gipfeln (Nato, G7, G20) setzte die
CDU-Chefin sich im Kreis der Staats- und Regierungschef als
mächtigste Frau der Welt gekonnt in Szene - die Fotos von brennenden

Kleinwagen und geplünderten Supermärkten in Hamburg waren dabei
allerdings sicher nicht nach ihrem Geschmack.

Wieso kam es überhaupt zu dem Treffen? Schulz ist doch nur
Kanzlerkandidat und hat kein Amt?

Die Initiative ging von Schulz aus. Macron empfange den
Kanzlerkandidaten, wie Macron damals als Präsidentschaftskandidat von
Kanzlerin Angela Merkel empfangen wurde, meint Regierungssprecher
Christophe Castaner. Macron ist ein überzeugter Europäer und tritt
für eine starke Partnerschaft mit Deutschland ein. Erst vor einer
Woche hatte er Merkel beim deutsch-französischen Ministerrat im
Élyséepalast begrüßt.

Liegen Schulz und Macron auf einer Linie?

So sieht es zumindest Schulz. Immer wieder spricht er in der
französischen Hauptstadt von «Übereinstimmung», ob nun bei der Refo
rm
der europäischen Währungsunion oder der EU-Flüchtlingspolitik. Schulz

unterstützt Forderungen des Top-Franzosen nach einem eigenen Haushalt
für die Eurozone und einem europäischen Finanzminister.

Macron hatte nur zwei Monate nach seinem Amtsantritt klargemacht, die
EU sei kein Supermarkt, in dem jeder kriege, was er wolle. «In
Deutschland wird seit zwölf Jahren an der Regierungsspitze zu diesem
Thema geschwiegen», sagt Schulz über Merkel. Es sei ein Skandal, dass
die Kanzlerin jüngst Macron in Sachen Euro-Budget auf die Zeit nach
der Wahl vertröstet habe.

Wie will Schulz sich in der Europa-Politik von Merkel abgrenzen?

Sein Kalkül sieht so aus: Er, der langjährige EU-Parlamentspräsident,

«Mister Europa» der SPD, der fließend Französisch, Englisch,
Spanisch, Italienisch und Niederländisch spricht, will Europa als
Schicksalsgemeinschaft zusammenhalten - dagegen Merkel, die kühle
Konservative, die Europa und die deutsch-französische Achse nur als
Mittel zum Zweck sehe, so zumindest der Schlachtplan der Genossen.
Die SPD hofft, mit einem klaren Bekenntnis zu Europa in Zeiten von
Trump, Putin und Erdogan Wähler zu mobilisieren - ähnlich wie es
Macron in Frankreich mit seiner Bewegung «en Marche» gelang. 

Was würde Schulz in Europa anders machen, wenn er Kanzler wäre?

Schulz fordert mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage. So will er
sich demnächst in Rom mit Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni

treffen und nach Lösungen suchen, wie Italien bei der Bewältigung der
hohen Flüchtlingszahlen geholfen werden kann. Schulz würde Bremsern
wie Ungarn und Polen im Zweifel den EU-Geldhahn teilweise zudrehen,
wenn sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Notfalls sollte Deutschland bei
den anstehenden Verhandlungen zum EU-Haushalt sein Veto einlegen.

Umgekehrt wäre Schulz bereit, für Europa noch mehr als die aktuellen
15 Milliarden Euro netto aus Deutschland auf den Tisch zu legen. Er
geht damit bewusst ein Risiko ein. Die EU wird von vielen Deutschen
als Bürokratie-Monster wahrgenommen, die Milliardenhilfen für
Griechenland polarisieren unverändert. Schulz aber sagt: «Deutschland
kann mehr, und auch Europa kann mehr.»

Macron hat ja hochfliegende Pläne für eine «Neugründung» Europas.

Wird er sich damit durchsetzen können?

Für endgültige Antworten ist es noch zu früh, denn Macron amtiert
erst seit zwei Monaten. Zumindest sorgt der 39-Jährige für neuen
Schwung in der Europa und mehr Zuversicht in seinem hoch
verschuldeten Land.

Gibt es bereits konkrete Schritte?

Ja. Deutschland und Frankreich signalisierten vor einer Woche, dass
sie bei der Verteidigungszusammenarbeit Ernst machen wollen; auf dem
Programm steht unter anderem die gemeinsame Entwicklung eines neues
Kampfflugzeuges. Für weitere Schritte wie die Reform der europäischen
Währungsunion muss hingegen die Bundestagswahl im September
abgewartet werden. Deutschland will zudem Ergebnisse bei der
französischen Arbeitsmarktreform sehen, die bereits von der Regierung
angeschoben wurde. Auch die Sanierung der französischen
Staatsfinanzen wird in Berlin genau beobachtet - Paris will im
laufenden Jahr erstmals seit langem wieder die Maastrichter
Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einhalten.