Unabhängigkeit polnischer Gerichte trotz Duda-Vetos in Gefahr Von Natalie Skrzypczak, dpa

11.08.2017 14:17

Als Polens Präsident Andrzej Duda im Juli einen Teil der geplanten
Justizreform der Warschauer Nationalkonservativen aufhielt, war die
Freude vieler Polen groß. Allerdings billigte er auch eines der
umstrittenen Gesetze. Nun tritt es in Kraft.

Warschau (dpa) - Die Protest-Banner sind eingerollt, die
Demonstranten vor dem Obersten Gericht in Warschau vorerst
verschwunden. Aus Sicht vieler Polen hat das Veto von Präsident
Andrzej Duda gegen weite Teile einer umstrittenen Justizreform die
unmittelbare Gefahr für den Rechtsstaat vorerst gebannt. So geriet
ein Aspekt der Reform, den Duda gebilligt hat, in den Hintergrund.
Mitten in der Parlamentspause tritt nun am Samstag das international
kritisierte Gesetz zu den allgemeinen Gerichten in Kraft - zumindest
ein Teilerfolg für die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit PiS.

Konkret sieht das Gesetz vor, dass der polnische Justizminister
Zbigniew Ziobro künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen
Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte entlassen und ihre
Posten neu besetzen kann. Das bereitet auch Rechtsexperten der
Helsinki-Stiftung für Menschenrechte in Warschau Sorgen. Auf Richter
könne Druck ausgeübt werden, wenn die Entscheidungen über den
Fortgang ihrer Karrieren allein von einem Politiker getroffen werden
könnten.

Im Extremfall könnten reformierte - und möglicherweise befangene -
Gerichte sogar über die Gültigkeit von Regionalwahlen entscheiden,
kritisierten die Experten. 2018 stehen in Polen Gemeindewahlen an.
«Da darf es nicht den geringsten Zweifel geben, dass Richter unter
Druck gesetzt wurden», sagt Barbara Grabowska-Moroz von der
Helsinki-Stiftung der Zeitung «Gazeta Wyborcza».

Duda, der aus dem Regierungslager stammt, hatte Ende Juli nach
Protesten von bis zu Zehntausenden Polen und Sanktionsdrohungen der
EU-Kommission sein Veto gegen die Gesetze zur Reform des Obersten
Gerichts und des Landesrichterrats eingelegt. Das Gesetz über die
Reform der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterzeichnete er indes.

Kritiker besorgt dabei auch, dass Ziobro künftig Richter in den
Ruhestand schicken kann. «Solche Befugnisse über die Justizverwaltung
darf der Justizminister laut Verfassung nicht haben», warnt der
Helsinki-Verein in einem Gutachten zur Reform, die auch schon bei der
EU-Kommission die Alarmglocken schrillen ließ. Brüssel leitete
bereits ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Kommissare stören
sich insbesondere daran, dass das Gesetz verschiedene Pensionsalter
für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jahre) vorsieht. Das
widerspreche der EU-Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter in
der Arbeitswelt. Der Gesetzesartikel tritt erst im Oktober in Kraft.

Schon seit der Reform des Verfassungsgerichts 2015 führt Brüssel ein
Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, durch das dem Land in letzter
Instanz der Entzug der Stimmrechte droht. Warschau beeindruckte das
bislang nicht. Die Regierenden halten an ihren Vorhaben einer
umfangreichen Umgestaltung der Justiz fest, PiS-Vertreter
bezeichneten Richter immer wieder als arrogant und korrupt. «Wir
werden unser demokratisches Mandat nutzen und Druck und Drohungen
nicht nachgeben», kündigte Ziobro an.

Die PiS-Gegner sehen darin eine allgemeine Hetzkampagne gegen die
Justiz. Auf konkrete Schwachstellen und die Frage, wie diese zu
beheben seien, gingen die Nationalkonservativen kaum ein, bemängeln
sie. Dabei sind auch hochrangige und PiS-kritische Experten wie der
Ex-Verfassungsgerichtschef Andrzej Zoll der Meinung, das polnische
Gerichtswesen bedürfe einer Reform.

In einer Analyse des Deutschen Polen-Instituts heißt es, Richter
würden bei ihren Urteilen gesellschaftliche oder ökonomische Umstände

eines Tatbestands oft nicht berücksichtigen, zudem seien ihre
Kenntnisse des EU-Rechts in vielen Fällen mangelhaft. Doch die von
den Regierenden angestrebten Änderungen hätten vor allem einen
Kaderwechsel zum Ziel, befand die Helsinki-Stiftung.