Seenotretter rechnet mit weniger Flüchtlingen und Toten vor Libyen

15.08.2017 05:13

Libyen geht mit harter Hand gegen Flüchtlinge und private
Seenotretter im Mittelmeer vor. Die Zahl der Migranten, die nach
Europa aufbrechen, sinkt. Doch was geschieht mit den Flüchtlingen in
Libyen? Sicher scheint nur: Die dortigen Lager sind nicht die Lösung.

Berlin/Passau (dpa) - Das harte Vorgehen der libyschen Behörden gegen
Flüchtlinge und private Seenotnetter im zentralen Mittelmeer wird
nach Ansicht von Sea-Eye-Sprecher Hans-Peter Buschheuer dazu führen,
dass weniger Menschen flüchten und ertrinken. Der Sprecher der
Hilfsorganisation sagte der «Passauer Neuen Presse» (Dienstag): «Es
wird jetzt erfolgreich verhindert, dass die Menschen aufs Wasser
gehen und die Flucht wagen. Das bedeutet natürlich auch, dass weniger
Menschen ertrinken.» Gleichwohl sei das libysche Vorgehen ein klarer
Rechtsbruch.

Am Wochenende hatten Hilfsorganisationen wie Sea Eye, Ärzte ohne
Grenzen und Save the Children angekündigt, sich vorläufig aus dem
Rettungsgebiet vor Libyen zurückzuziehen. Als Grund nannten sie
Drohungen und die Ankündigung aus Libyen, die eigene Such- und
Rettungszone auf internationale Gewässer auszuweiten.

Die libysche Küstenwache zeigt seit einiger Zeit deutlich stärker
Präsenz im Mittelmeer - vermutlich auch auf Druck aus Rom und Brüssel

hin. Das habe Schmuggler in dem Bürgerkriegsland im Juli davon
abgeschreckt, Migranten auf Boote in Richtung Europa zu setzen,
erklärte die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Montag.

Buschheuer gibt zu bedenken, dass die Flüchtlinge nun weiterhin in
libyschen Lagern bleiben müssten - «sämtliche UNO-Organisationen und

auch die humanitären Organisationen dort im Einsatz berichten von
katastrophalen Verhältnissen», sagte er der Zeitung.

Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich besorgt über die
Entwicklung. «Wer schützt diese Menschen dort? Wer bekämpft die
gewalttätigen und verbrecherischen Milizen, die heute jeden Tag in
den Flüchtlingslagern die Menschen schinden?», fragte er im Gespräch

mit dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Dienstag). Europa müsse bereit sei
n,
sich solchen Fragen zu stellen. «Davon sind wir noch weit entfernt.
Wir waren immer ganz froh, wenn die Amerikaner die militärischen
Aufgaben übernommen haben. Wenn das schief ging, konnten wir
wenigstens einen Schuldigen benennen.»

Jürgen Trittin von den Grünen sprach von einem «Gipfel des Zynismus
».
«Erst haben Frankreich und Großbritannien Libyen zu einem «failed
state» bombardiert. Nun schießt die von der EU ausgebildete und
zeitweilig finanzierte sogenannte libysche Küstenwache auf
Seenotretter», sagte Trittin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
(Dienstag). «Mit einer Flüchtlingsabwehr durch bezahlte Söldner wird

die Zahl unschuldiger Menschen weiter steigen, die im Mittelmeer
jämmerlich ersaufen», sagte er voraus.

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff forderte die
Bundesregierung dazu auf, sich mit europäischen Partnern aktiv für
eine Stabilisierung der Lage in Libyen einzusetzen. «Teil der Lösung
können zum Beispiel auch humanitäre Flüchtlingsunterkünfte sein.
Dafür brauchen wir aber dringend eine diplomatische Offensive», sagte
der stellvertretende Präsident des Europaparlaments der «Heilbronner
Stimme» (Dienstag).