Bundesverfassungsgericht sieht EZB-Staatsanleihenkäufe kritisch

15.08.2017 09:42

Monat für Monat pumpt die Europäische Zentralbank Milliarden Euro in
den Währungsraum. Das soll Inflation und Konjunktur nach der
Schuldenkrise auf die Sprünge helfen. Doch Karlsruhe hat Bedenken.

Karlsruhe (dpa) - Das Bundesverfassungsgericht stellt den
Anti-Krisen-Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frage. Die
Richter schalten nach mehreren Klagen gegen die milliardenschweren
Staatsanleihenkäufe der EZB den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein,
wie am Dienstag in Karlsruhe mitgeteilt wurde.

Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass d
ie
dem Anleihekaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot
der Staatsfinanzierung durch die Notenbank verstoßen. Sie gingen über
das Mandat der EZB für die Währungspolitik hinaus und würden damit
in
die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten eingreifen, teilte das
Bundesverfassungsgericht mit. (Az. 2 BvR 859/15 u.a.)

Zur Ankurbelung von Inflation und Konjunktur kauft die Notenbank seit
März 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere in großem Stil -
derzeit für 60 Milliarden Euro monatlich. Das viele Geld soll die
Zinsen drücken und die Kreditvergabe ankurbeln. Nach Auffassung der
Kläger überschreiten die Währungshüter damit ihr Mandat. Die
Notenbank unter Präsident Mario Draghi betreibe eigenmächtig
Wirtschaftspolitik. Das ist in Europa aber die Aufgabe der nationalen
Finanzminister. Außerdem würden verbotenerweise Staatshaushalte
finanziert.

Die Vorlage in Luxemburg bedeutet, dass die Verfassungsrichter diese
Vorwürfe sehr ernst nehmen. Weil es um EU-Recht geht, soll zunächst
der EuGH urteilen. Auf dieser Grundlage entscheidet dann Karlsruhe.

Im äußersten Fall könnten die Richter die deutsche Beteiligung an den

Staatsanleihenkäufen untersagen. Die Bundesbank ist größter
Anteilseigner der EZB, entsprechend viele Papiere kauft sie. Das
Gericht könnte Bundesregierung und Bundestag verpflichten, auf eine
Anpassung oder Beendigung der Käufe hinzuwirken.

Vorerst soll das Programm, dessen Risiken auch die nationalen
Notenbanken tragen, noch bis mindestens Ende 2017 laufen - insgesamt
werden sich die Käufe dann auf 2,28 Billionen Euro summieren. Die EZB
bewertet ihre Geldpolitik als Erfolg. Die Wirtschaft im Euroraum
wächst inzwischen robust. Die Zeiten der Mini-Inflation sind vorerst
vorbei.

Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die EZB die gewaltigen
Wertpapierkäufe 2018 schrittweise zurückfährt. Ob es bis dahin schon

ein Urteil aus Karlsruhe gibt, ist zumindest fraglich.