London: Grenzkontrollen zu Irland nach Brexit verzichtbar

16.08.2017 19:47

Mit dem Brexit will die Regierung in London auch die Zollunion und
den EU-Binnenmarkt verlassen. Das bringt Probleme für die offene
Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Landesteil
Nordirland. Ein Vorstoß aus London trifft in Brüssel auf Skepsis.

London (dpa) - Die britische Regierung sieht trotz Brexits keinen
Bedarf für Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem
britischen Landesteil Nordirland. Das geht aus einem Positionspapier
für die Verhandlungen mit Brüssel hervor, das am Mittwoch vom
Brexit-Ministerium in London veröffentlicht wurde. Die EU-Kommission
äußerte sich zurückhaltend zu den Vorschlägen.

Die knapp 500 Kilometer lange Grenze wird täglich von 30 000 Menschen
ohne Pass- und Warenkontrollen passiert. Eine Rückkehr zu einer
befestigten Grenze nach der Trennung von der Europäischen Union
schloss die britische Regierung aus. Es werde «keine physische
Infrastruktur jeglicher Art an der Grenze» geben, so
Premierministerin Theresa May.

Stattdessen könnte - so der Vorschlag aus London - ein neues
Zollabkommen mit der EU so ausgestaltet werden, dass Grenzposten
unnötig würden. Die britische Regierung will sich insbesondere bei
Agrarprodukten und Lebensmitteln mit der EU auf gemeinsame Standards
einigen, um Kontrollen zu vermeiden. Das könnte Schwierigkeiten
aufwerfen, da London neue Freihandelsabkommen mit Ländern wie den
USA, China und Indien schließen will, deren Produktstandards sich
stark von den europäischen unterscheiden.

Britische und irische Staatsbürger sollen sich zudem weiterhin
ungehindert zwischen Großbritannien und Irland bewegen können. Wie
London die Einreise anderer Staatsbürger kontrollieren will, blieb
offen.

Die Reaktion aus Brüssel war verhalten. «Es ist unbedingt notwendig,
dass wir erst einmal eine politische Diskussion haben, bevor wir uns
mögliche technische Lösungen anschauen», sagte eine Sprecherin der
EU-Kommission am Mittwoch.

Die Republik Irland und Nordirland fürchten durch die neue
EU-Außengrenze wirtschaftliche Einbußen und dass alte Wunden in der
früheren Bürgerkriegsregion aufgerissen werden. Die EU-Mitgliedschaft
beider Teile der irischen Insel und der freie Grenzverkehr waren
wichtige Bausteine für den Friedensschluss im Karfreitagsabkommen von
1998. Im Nordirland-Konflikt kämpften pro-irische Katholiken unter
Führung der Untergrundorganisation IRA gegen pro-britische
Protestanten. Tausende Menschen kamen damals ums Leben.

Den Vorschlag der Republik Irland, die Grenzkontrollen an Häfen und
Flughäfen der geteilten Insel zu verlegen, erteilte London eine klare
Absage. Das sei «total inakzeptabel», sagte May.

Bei vielen Politikern aus Nordirland und der Republik Irland stieß
das Positionspapier auf Kritik. Sie bezeichneten die Vorschläge als
realitätsfern und bemängelten das Fehlen von Absprachen: Nordirland
hat seit mehreren Monaten keine Regionalregierung mehr. Die
bisherigen Koalitionspartner sind verkracht; mehrere Fristen zur
Regierungsbildung in dem Landesteil sind bereits verstrichen.

London will neben der EU auch den Europäischen Binnenmarkt und die
Zollunion verlassen. Dadurch soll das Land in die Lage versetzt
werden, neue Handelsabkommen mit Drittländern wie den USA oder China
abzuschließen. Bisher hat nur die EU das Recht, Handelsabkommen für
die Zollunion zu schließen. Einmal im gemeinsamen Zollgebiet, müssen
Waren nicht mehr verzollt werden, wenn sie über eine Landesgrenze
gebracht werden. Im Falle Großbritanniens würde sich das nach dem
Brexit ändern. Grenzkontrollen wären nötig.

Bereits am Dienstag hatte London Pläne für ein künftiges Zollabko
mmen
zwischen der EU und Großbritannien vorgelegt. Demnach sollten die
Kontrollen entweder weitgehend elektronisch abgewickelt werden oder
bereits vor dem Grenzübertritt stattfinden. Außerdem soll es eine
Übergangsphase geben, in der weitgehend alles beim alten bleibt.

Die EU-Kommission begrüßte die Positionspapiere. Natürlich würden s
ie
schon jetzt sorgfältig analysiert, hieß es. Die Sprecherin der
EU-Kommission verwies aber am Mittwoch nochmals auf das Grundprinzip,
über künftige Beziehungen zu Großbritannien erst zu sprechen, wenn
«ausreichender Fortschritt» bei den Diskussionen über die
Trennungsfragen erreicht ist. Dazu gehören auch finanzielle
Forderungen gegenüber London und die Bleiberechte von 3,2 Millionen
EU-Bürgern im Königreich und der 1,2 Millionen Briten in der EU.