Kritik an Mays Brexit-Rede: «Neue Nebelkerzen gezündet»

23.09.2017 14:22

Die Kritik an der Brexit-Grundsatzrede von Theresa May nimmt zu.
Besonders bitter für die Premierministerin: Nach ihrem Auftritt
stufte eine US-Ratingagentur die Kreditwürdigkeit Großbritanniens
herab.

London (dpa) - Einen Tag nach ihrer Grundsatzrede zum EU-Austritt
haben Politiker und Wirtschaftsvertreter mehr Klarheit von der
britischen Premierministerin Theresa May gefordert. May gab sich
hingegen vor allem mit Blick auf künftige Handelsbeziehungen
optimistisch. «Die Dinge werden anders sein, aber wir können eine
Einigung erzielen, die gut für alle ist», sagte sie der römischen
Zeitung «La Repubblica» (Samstag).

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron begrüßte Mays Vorschläg
e,
verwies aber auf Unklarheiten in zentralen Fragen. Zunächst müsse
London mit Brüssel die Rechte der EU-Ausländer, die Schlussrechnung
und die Ausgestaltung der neuen EU-Außengrenze zwischen der Republik
Irland und dem britischen Nordirland klären. Erst danach könne über
Handelsbeziehungen gesprochen werden, sagte Macron in Paris.
EU-Brexitunterhändler Michel Barnier äußerte sich am Freitag ähnlic
h.

In ihrer Rede hatte May in Florenz nach dem Brexit eine etwa
zweijährige Übergangsphase vorgeschlagen. Sie deutete an, dass London
in dieser Zeit weiter in den EU-Haushalt einzahlen werde und so im
Binnenmarkt bleiben könnte. Das soll «wertvolle Sicherheit» unter
anderem für Firmen schaffen. EU-Ausländer sollen sich auch während
der Brexit-Übergangsphase in Großbritannien niederlassen dürfen.

Der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK),
Martin Wansleben, verlangte mehr Planungssicherheit für Unternehmen.
«Frau May hat nur bei den Rechten der EU-Arbeitnehmer etwas Licht ins
Dunkel gebracht. Zugleich hat sie neue Nebelkerzen gezündet. Noch
immer wissen wir nicht, wie sich die britische Regierung ihre
Übergangsphase von zwei Jahren vorstellt und was anschließend folgen
soll», sagte Wansleben der Deutschen Presse-Agentur.

Nach den Worten des Grünen-Chefs Cem Özdemir sind die konkreten
Vorstellungen Londons nach wie vor unbekannt. «Doch der Brexit darf
uns nicht von unserer eigentlichen Herausforderung ablenken: nämlich,
die Europäische Union wieder zu stärken und voranzubringen.» Der
europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael
Stübgen, beklagte, dass Mays Rede keine neue Dynamik in die Gespräche
bringen werde, «die so dringend nötig wäre».

Die US-Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit
Großbritanniens herab. Das Rating werde von «Aa1» auf «Aa2» gesen
kt,
teilte Moody's mit. Die Aussicht für die Staatsfinanzen habe sich
«erheblich verschlechtert», hieß es zur Begründung der Abwertung. E
s
seien steigende Schulden zu erwarten, der Erfolg von
Konsolidierungsbemühungen sei fraglich. Die Probleme würden durch
eine wahrscheinliche wirtschaftliche Abschwächung auf mittlere Sicht
infolge des Austritts aus der EU verschärft.

Großbritannien zahlt jährlich etwa zehn Milliarden Euro netto in den
EU-Haushalt ein. Bei einer zweijährigen Übergangsphase müsste London

demnach noch ungefähr 20 Milliarden Euro trotz Brexits einzahlen.
Damit wäre allerdings nur ein Teil der 60 bis 100 Milliarden Euro
abgegolten, die London nach EU-Schätzungen noch zahlen muss. Diese
Rechnung umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für
Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten.

Die Schlussrechnung gilt als größter Streitpunkt bei den zähen
Brexit-Verhandlungen. Die nächste Gesprächsrunde beginnt am Montag.