Außenminister Gabriel enttäuscht von Brexit-Grundsatzrede

23.09.2017 17:25

Die Kritik an der Brexit-Rede von Theresa May nimmt zu. Besonders
bitter für die Premierministerin: Nach ihrem Auftritt stufte eine
US-Ratingagentur die Kreditwürdigkeit Großbritanniens herab.

London/Wolfenbüttel (dpa) - Einen Tag nach ihrer Grundsatzrede zum
EU-Austritt Großbritanniens haben Politiker und Wirtschaftsvertreter
deutlich mehr Klarheit von der britischen Premierministerin Theresa
May gefordert.

Außenminister Sigmar Gabriel nannte die am Freitag in Florenz
gehaltene Rede «enttäuschend. «Langsam läuft uns die Zeit weg»,

sagte Gabriel am Samstag in Wolfenbüttel. Über mögliche
Übergangsfristen könne erst geredet werden, wenn neben der
Schlussrechnung auch die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und
die Ausgestaltung der neuen EU-Außengrenze zwischen dem britischen
Nordirland und der Republik Irland geklärt seien. Ähnlich hatte sich
zuvor Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron geäußert.

Gabriel sagte, er habe die Sorge, dass Machtspiele innerhalb der
britischen Konservativen eine Lösung verhinderten. Er hoffe darauf,
dass Großbritannien im europäischen Binnenmarkt bleiben könne.
Voraussetzung dafür sei aber die Anerkennung des Europäischen
Gerichtshofs und der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

In ihrer Rede hatte May in Florenz nach dem Brexit eine etwa
zweijährige Übergangsphase vorgeschlagen. Sie deutete an, dass London
in dieser Zeit weiter in den EU-Haushalt einzahlen werde und so im
Binnenmarkt bleiben könnte. Das soll «wertvolle Sicherheit» unter
anderem für Firmen schaffen. EU-Ausländer sollen sich auch während
der Brexit-Übergangsphase in Großbritannien niederlassen dürfen. In
einem Interview mit der römischen Zeitung «La Repubblica» (Samstag)
äußerte sich May optimistisch über künftige Handelsbeziehungen.

Der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK),
Martin Wansleben, verlangte mehr Planungssicherheit für Unternehmen.
«Frau May hat nur bei den Rechten der EU-Arbeitnehmer etwas Licht ins
Dunkel gebracht. Zugleich hat sie neue Nebelkerzen gezündet. Noch
immer wissen wir nicht, wie sich die britische Regierung ihre
Übergangsphase von zwei Jahren vorstellt und was anschließend folgen
soll», sagte Wansleben der Deutschen Presse-Agentur.

Nach den Worten des Grünen-Chefs Cem Özdemir sind die konkreten
Vorstellungen Londons nach wie vor unbekannt. Der europapolitische
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Stübgen, beklagte,
dass Mays Rede keine neue Dynamik in die Gespräche bringen werde.

Die US-Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit
Großbritanniens herab. Das Rating werde von «Aa1» auf «Aa2» gesen
kt,
teilte Moody's mit. Die Aussicht für die Staatsfinanzen habe sich
«erheblich verschlechtert», hieß es zur Begründung der Abwertung. E
s
seien steigende Schulden zu erwarten, der Erfolg von
Konsolidierungsbemühungen sei fraglich. Die Probleme würden durch
eine wahrscheinliche wirtschaftliche Abschwächung auf mittlere Sicht
infolge des Austritts aus der EU verschärft.

Großbritannien zahlt jährlich etwa zehn Milliarden Euro netto in den
EU-Haushalt ein. Bei einer zweijährigen Übergangsphase müsste London

demnach noch ungefähr 20 Milliarden Euro trotz Brexits einbringen.

Damit wäre allerdings nur ein Teil der 60 bis 100 Milliarden Euro
abgegolten, die London nach EU-Schätzungen noch zahlen muss. Diese
Rechnung umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für
Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten.

Die Schlussrechnung gilt als größter Streitpunkt bei den zähen
Brexit-Verhandlungen. Die nächste Gesprächsrunde beginnt am Montag.