Neuer Schwung oder herber Dämpfer - Was bedeutet die Wahl für die EU? Von Verena Schmitt-Roschmann und Alkimos Sartoros, dpa

25.09.2017 18:02

Europa will sich nach dem Brexit-Schock neu erfinden und wartet dabei
auf sein größtes Mitgliedsland und die erfahrenste Regierungschefin
des Kontinents. Aber was kommt jetzt nach dieser Bundestagswahl?

Brüssel (dpa) - Den deutschen Wahlkampf haben die EU-Partner kaum
beachtet. Angela Merkel gegen Martin Schulz - zwei überzeugte
Europäer im Wettstreit, was sollte da groß schief gehen? Nun aber
sind viele in der Europäischen Union geschockt über den Erfolg der
AfD. Erstmals haben auch im größten EU-Mitgliedsland europakritische
Rechtspopulisten im großen Umfang Stimmen erobert.

Die deutsche Dauerkanzlerin, die bisher in Europa so unangreifbar
wirkte, sieht nach den schweren Verlusten der CDU/CSU politisch
gerupft aus und muss nun wohl langwierig eine neue Regierung zimmern.
Das dürfte die Geduld der europäischen Partner strapazieren, die
endlich mit der lange debattierten Erneuerung der EU loslegen wollen
- allen voran der französische Präsident Emmanuel Macron.

Was bedeutet das gute Abschneiden der AfD?

Der belgische Außenminister Didier Reynders nennt den Aufstieg der
Populisten ein Debakel, EU-Kommissar Pierre Moscovoci spricht von
einem Schock. Immerhin verlangt die AfD den Austritt der
Bundesrepublik aus dem Euro, was auch der EU den Todesstoß versetzen
könnte. Als der Rechtspopulist Geert Wilders im März in den
Niederlanden mit ähnlichen Thesen rund 13 Prozent der Stimmen holte,
zitterte halb Europa mit. Jetzt kommt die AfD auf ähnliche
Größenordnungen. «Alle demokratischen Parteien in Deutschland müsse
n
nun zusammenstehen, egal ob sie in der Regierung oder der Opposition
sind», fordert Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Analyst Fabian Zuleeg vom European Policy Centre gibt allerdings zu
bedenken, dass das AfD-Ergebnis begrenzten Einfluss haben werde. Denn
die Partei bleibt in der Opposition. Aller Voraussicht bleibt Merkel
Bundeskanzlerin und auch im nächsten Bundestag stellen die
traditionell pro-europäischen Parteien die übergroße Mehrheit. An
Deutschlands Unterstützung für Europa werde sich kaum etwas
verändern.

Gilt das denn auch, wenn die FDP mitregiert?

Mit der FDP in einer möglichen Jamaika-Koalition mit Union und Grünen
würde die Linie schon etwas anders als mit der SPD. Die Liberalen
haben zum Beispiel eine klare Absage an eine «soziale Säule» Europas

im Wahlprogramm, eine «Transferunion» ist für sie ein rotes Tuch. Der

Franzose Macron dürfte es da mit einigen seiner Reformideen schwer
haben. «Beim Thema Eurozonen-Budget kommen wir nicht zusammen», sagt
etwa der bisherige FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, der
jetzt in den Bundestag wechselt. Andererseits sieht er «keinen Grund
zur Beunruhigung», sollte die FDP mitregieren. Seine Partei sei klar
pro-europäisch und wolle den Erfolg der EU. «Wir werden mit den
Franzosen reden», sagt Lambsdorff.

Wie also macht Deutschland weiter in Europa?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat eine ganz klare
Erwartungshaltung: «Angesichts großer globaler Herausforderungen
braucht Europa jetzt mehr denn je eine stabile Bundesregierung, die
tatkräftig an der Gestaltung unseres Kontinents mitwirkt.» Viele
erwarten für die nächsten Wochen eine deutsch-französische Initiative

zur Erneuerung der EU - sobald sich Merkel mit künftigen
Koalitionspartnern einig ist.

Schon im Mai hatte sie Macron Unterstützung für EU-Reformen zugesagt
und sich offen für Macrons Ideen eines Euro-Finanzministers und eines
eigenen Budgets der Eurozone gezeigt. An diesen Aussagen wird Macron
sie messen wollen. Auch Asselborn betont: «Nun ist der Moment
gekommen, in dem Deutschland und Frankreich ihre Verantwortung für
die Verteidigung der europäischen Werte erkennen müssen.»

Wer treibt die Reformen voran?

Macron, der schon während des deutschen Wahlkampfs auf Merkel warten
musste, hält es nicht mehr länger auf dem Stuhl: Schon am Dienstag
will er an der Sorbonne eine wegweisende europapolitische Rede halten
- auch zu seinen Vorstellungen für eine gestärkte Wirtschafts- und
Währungsunion. Am Donnerstag und Freitag kommen dann die EU-Staats-
und Regierungschefs im estnischen Tallinn zusammen. Die Zukunft der
EU wollen sie am Donnerstag beim Abendessen besprechen. Merkel hat
sich angekündigt. Ihr erster Auftritt auf europäischer Bühne nach dem

durchwachsenen Wahlergebnis wird mit Spannung erwartet.

Wie wichtig sind diese EU-Reformen überhaupt?

Dass die EU schneller, durchsichtiger, schlagkräftiger und
bürgernäher werden muss, sagen inzwischen viele. Die Entscheidung der
Briten zum Austritt und der Aufstieg EU-feindlicher Populisten in
vielen Ländern dienten als Weckruf - der ist nun nach dem AfD-Erfolg
umso lauter hörbar. Macron ist die Schlüsselfigur, weil er sich im
Frühjahr nur vergleichsweise knapp gegen die EU-Gegnerin Marine Le
Pen durchsetzte. Der junge Präsident braucht Erfolge auf europäischer
Bühne. «Er ist der Präsident der letzten Chance für Europa», sagt

auch Lambsdorff.