Merkel will bei Gipfel Finanzhilfen für die Türkei infrage stellen

19.10.2017 04:55

Die Türkei, der Brexit und die Migration: Auf Kanzlerin Angela Merkel
und ihre europäischen Kollegen warten beim EU-Gipfel in Brüssel
schwierige Themen. Zudem gibt es Probleme am Tagungsort.

Brüssel (dpa) - Beim EU-Gipfel in Brüssel will Bundeskanzlerin Angela
Merkel an diesem Donnerstag mit ihren Kollegen über Möglichkeiten zur
weiteren Reduzierung der Finanzhilfen für die Türkei reden. Nach
Angaben aus deutschen Regierungskreisen könnte mit einem solchen
Schritt auf die andauernde Inhaftierung von Journalisten und
Menschenrechtlern in dem Land reagiert werden. Eigentlich sind der
Türkei für den Zeitraum 2014 bis 2020 sogenannte
EU-Heranführungshilfen in Höhe von 4,45 Milliarden Euro versprochen.

Im Bundestagswahlkampf thematisierte Forderungen nach einem Abbruch
der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden hingegen
vermutlich keine große Rolle spielen. Die dafür notwendige
Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten war bis zuletzt nicht
absehbar.

Auf der Tagesordnung des zweitägigen Gipfels stehen an diesem
Donnerstag auch die noch immer schwelende Flüchtlingskrise und die
Planungen für eine europäische Verteidigungsunion. Zudem wollen die
Staats- und Regierungschefs beraten, wie die EU mit der
Nordkorea-Krise und mit dem Abrücken der USA vom Atomabkommen mit dem
Iran umgehen soll.

Am Freitag folgt dann eine Debatte über mögliche EU-Reformen, wie sie
der französische Präsident Emmanuel Macron zuletzt gefordert hatte.
EU-Ratspräsident Donald Tusk legte dazu einen Fahrplan vor.

Ohne Großbritannien beraten die 27 verbleibenden EU-Länder ebenfalls
am Freitag über den Stand der Brexit-Verhandlungen. Londons Forderung
nach einer schnellen Ausweitung der Gespräche soll dabei klar
abgelehnt werden. Über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien
will die 27er-Gruppe nämlich erst dann mit Großbritannien sprechen,
wenn «ausreichende Fortschritte» bei den wichtigsten Trennungsfragen
erzielt worden sind.

Dazu gehören die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger im Königreich und

der 1,2 Millionen Briten in der Europäischen Union. Außerdem muss der
künftige Status der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem
britischen Nordirland geklärt werden. Am meisten Streit gibt es um
die Schlussrechnung von bis zu 100 Milliarden Euro, die London zahlen
soll. Sie umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für
Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten.

Die britische Premierministerin Theresa May teilte in der Nacht zum
Donnerstag mit, dass sie beim Thema Bleiberechte der EU-Ausländer
nach dem Brexit eine Einigung in greifbarer Nähe sehe. London wolle
es den EU-Ausländern im Vereinigten Königreich so einfach wie möglich

machen, ihren Status zu behalten. Wer heute rechtmäßig in
Großbritannien lebe, werde auch in der Lage sein, nach dem
EU-Austritt zu bleiben, betonte May.

Für Aufregung kurz vor dem Gipfel sorgte am Mittwoch ein Defekt, der
zur Freisetzung gesundheitsschädlicher Dämpfe in den Küchen des neuen

EU-Tagungsgebäudes führte. Vorsichtshalber wird das Treffen der
Staats- und Regierungschefs deswegen im alten EU-Ratsgebäude
abgehalten, das direkt nebenan liegt.