Merkel: EU einig bei Kürzung der Türkei-Hilfen

20.10.2017 02:51

Für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gibt
es im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs keine Mehrheit. Aber
mit einer Forderung setzt die deutsche Kanzlerin sich durch.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union will die Finanzhilfen zur
Vorbereitung eines Beitritts der Türkei kürzen. Darauf habe sich der
EU-Gipfel geeinigt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am frühen
Freitagmorgen. Gleichwohl sprach sich die CDU-Chefin dafür aus,
weiter mit Ankara zu reden. Auch stellte sie sich eindeutig hinter
den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei, einschließlich der Zahlung
weiterer Milliarden zur Versorgung Schutzsuchender.

Merkel hatte die Türkeipolitik auf die Agenda der 28 Staats- und
Regierungschefs setzen lassen, nachdem sie im Wahlkampf für einen
Stopp der Beitrittsverhandlungen plädiert hatte. Im Kreis der
EU-Länder gibt es aber kaum Unterstützung für einen Bruch, auch weil

der Flüchtlingspakt nicht gefährdet werden soll.

Merkel sagte, wichtig sei eine geschlossene Haltung der EU. Und es
gebe viele Gründe mit der Türkei zu reden. Dennoch wolle man die
EU-Kommission veranlassen, die sogenannten Vorbeitrittshilfen «in
verantwortbarer Weise zu kürzen». Damit reagiere die EU auf die
«absolut unbefriedigende Situation der Menschenrechte» in der Türkei.

Gespräche über die von Ankara geforderte Erweiterung der Zollunion
mit der EU werde es nicht geben.

Der österreichische Kanzler Christian Kern sagte, mit den
Beitrittshilfen habe man die Türkei näher an die rechtsstaatlichen
Standards Europas heranführen wollen - dies sei eindeutig «nicht
gelungen». Insgesamt hat die EU der Türkei für den Zeitraum 2014 bis

2020 rund 4,45 Milliarden Euro zugesagt, 368 Millionen davon sind
bisher vertraglich gebunden.

Merkel akzeptiert aber, dass weiter EU-Geld zur Versorgung von
Flüchtlingen in die Türkei fließt - drei Milliarden Euro sind schon
verplant, drei weitere sollen folgen. Die EU sieht den
Flüchtlingspakt als Erfolg, weil seit 2016 sehr viel weniger Menschen
von der Türkei nach Griechenland übersetzen. Nun versucht sie
dasselbe auf der Route über das zentrale Mittelmeer von Nordafrika
nach Italien und arbeitet dafür mit Libyen zusammen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte: «Wir haben eine echte Chance, die
Route über das zentrale Mittelmeer zu schließen.» Der Gipfel
beschloss, Italien und dessen Zusammenarbeit mit den libyschen
Behörden zu unterstützen. Gleichzeitig wolle man den EU-Fonds zur
Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika auffüllen, berichtete Tusk.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte, die
Mitgliedstaaten hätten erst 175 Millionen Euro für den Fonds
zugesagt: «Das ist ganz klar nicht genug.» Die EU-Staats- und
Regierungschefs wollen nach Tusks Worten auch einen neuen Anlauf zur
Reform des höchst umstrittenen EU-Asylsystems starten und möglichst
bis Mitte 2018 abschließen.

In ihrer Gipfelerklärung warnten die Staats- und Regierungschefs die
USA vor einem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran, das
Präsident Donald Trump zuletzt in Frage gestellt hatte. Die EU machte
auch deutlich, dass sie Trumps Drohung mit einer militärischen Lösung
des Nordkorea-Konflikts nicht für den richtigen Weg hält. Sie selbst
droht Nordkorea eine weitere Verschärfung von Sanktionen an.

Der Gipfel bestätigte auch den Start einer engeren Zusammenarbeit bei
der Verteidigung zum Jahresende und bekannte sich zu einer raschen
Digitalisierung Europas.

Der für 2019 geplante EU-Austritt Großbritanniens steht erst für
Freitag auf der Tagesordnung. Premierministerin Theresa May mahnte
erneut Tempo bei den bisher schleppenden Brexit-Verhandlungen mit der
EU an. Sie hoffe auf «ambitionierte Pläne» für die kommenden Wochen
,
sagte sie zu Beginn des Gipfels in Brüssel und warb später beim
Abendessen der Staats- und Regierungschefs für ihre Position.

Merkel zeigte sich danach überraschend optimistisch, dass ein
Brexit-Abkommen letztlich gelingen werde. «Ich habe da eigentlich
überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir geistig alle klar sind», sagte
sie. Sie sehe «null Indizien dafür, dass das nicht gelingen kann».
Bis jetzt habe Großbritannien aber «noch nicht genug» Zugeständniss
e
gemacht, um die zweite Verhandlungsphase zu eröffnen.