Kartellverdacht bei Autobauern: Daimler hat Kronzeugenantrag gestellt Von Nico Esch, dpa

20.10.2017 15:19

Die Aufregung um die Kartellvorwürfe gegen deutsche Autobauer hat
sich weitgehend gelegt, da wagt sich plötzlich Daimler aus der
Deckung - ein bisschen jedenfalls. Und BMW bekommt Besuch.

Stuttgart (dpa) - Im Fall des Kartellverdachts gegen die deutsche
Autoindustrie hat der Daimler-Konzern bei den EU-Behörden den Status
als Kronzeuge beantragt. Man könne das nun öffentlich machen, sagte
Finanzchef Bodo Uebber am Freitag und bestätigte damit, worüber lange
spekuliert worden war. «Es ist gegenwärtig offen, ob die Europäische

Kommission ein formelles Verfahren einleiten wird», sagte Uebber
weiter - und betonte außerdem, dass Daimler derzeit keine
Notwendigkeit sehe, ein finanzielles Polster für mögliche Strafen zu
bilden.

Der Kronzeuge in Kartellverfahren darf in der Regel auf den größten
Nachlass bei Strafzahlungen bis hin zur kompletten Verschonung
hoffen. Noch immer ist allerdings unklar, was an den Vorwürfen
überhaupt dran ist.

«Mehr dürfen wir hierzu derzeit auf Grund des erwähnten Antrags auf
Bußgeldimmunität nicht sagen», sagte Uebber. Daimler kooperiere
weiterhin vollumfänglich mit den Behörden. Wann genau der Konzern den
Antrag eingereicht hat und was er darin den Aufsehern preisgibt,
wollte der Finanzchef auch auf Nachfrage nicht sagen.

Bei der EU-Kommission läuft derzeit eine Voruntersuchung zu den
Vorwürfen. BMW und Daimler sowie VW samt Töchtern Audi und Porsche
sollen sich jahrelang in geheimen Zirkeln über ihre Autos, Kosten und
Zulieferer ausgetauscht haben. Solche Absprachen unter Autobauern
sind durchaus üblich - zum Beispiel, um Standards für die Ladung von
Elektroautos abzusprechen. Die Frage ist aber, ob in diesem Fall eine
Grenze überschritten wurde.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Sommer hatte es in Medienberichten
geheißen, dass auch der Volkswagen-Konzern schon vor einiger Zeit
eine Art Selbstanzeige rund um den Kartellverdacht bei den Behörden
eingereicht habe. Daimler soll den Wolfsburgern aber noch
zuvorgekommen sein. VW blieb am Freitag bei der Strategie, an die
sich auch Daimler zuvor lange gehalten hatte: Kein Kommentar.

Ein BMW-Sprecher sagte auf Anfrage, die EU-Kommission habe in dieser
Woche Mitarbeiter zur Prüfung in die Münchner Konzernzentrale
entsandt. Auch er betonte, dass die Kommission kein formelles
Verfahren eingeleitet habe. Die Mitarbeiter hätten eine sogenannte
Nachprüfung durchgeführt, BMW unterstütze die EU-Kommission bei ihrer

Arbeit. Einzelheiten nannte der Sprecher nicht. Aufgrund der
laufenden Prüfung werde BMW darüber hinaus nichts weiter sagen. Die
EU-Kommission teilte mit, es habe eine «nicht angekündigte Prüfung»

bei einem deutschen Autobauer gegeben. Namen nannte sie nicht.

Im Tagesgeschäft bei Daimler hinterlassen die immer neuen Bestwerte
bei den Verkaufszahlen weiter ihre Spuren in der Bilanz. Hohe Kosten
unter anderem für eine Rückrufaktion sowie die versprochenen
Software-Updates bei Diesel-Fahrzeugen schmälern den Gewinn im
dritten Quartal jedoch erheblich, wie der Konzern am Freitag
ebenfalls bekanntgab. Daimler will insgesamt drei Millionen Diesel
nachbessern, um den Schadstoffausstoß zu reduzieren. Außerdem ruft
der Konzern mehr als eine Million Wagen wegen defekter Kabel in der
Lenksäule zurück. Beides zusammen kostet die Stuttgarter gut eine
halbe Milliarde Euro.

Während der Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal um sechs Prozent
auf rund 40,8 Milliarden Euro wuchs, ging der Gewinn vor Zinsen und
Steuern um 14 Prozent auf rund 3,46 Milliarden Euro zurück. Unter dem
Strich blieben für die Aktionäre 2,18 Milliarden Euro übrig - 16
Prozent weniger als vor einem Jahr.

Unmittelbar vor der Automesse IAA im September hatte Daimler ein
milliardenumfassendes Sparpaket für Mercedes-Benz bis 2025
präsentiert, um Geld für Investitionen auf die Seite legen zu können.

Außerdem hat der Vorstand inzwischen erste Schritte hin zu einer
neuen Konzernstruktur beschlossen. Damit verbunden ist auch eine
langfristige Jobsicherung für die Belegschaft.