Der langwierige Abschied: Worum es beim Brexit geht Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

20.10.2017 17:01

Nach mehr als 40 Jahren will Großbritannien sich aus der Europäischen
Union verabschieden und eigene Wege gehen - ein äußerst kompliziertes
Vorhaben.

Brüssel (dpa) - Brexit, Brexit, Brexit - seit Monaten wird über den
EU-Austritt Großbritanniens gestritten und gefeilscht. In Brüssel
saßen Unterhändler beider Seiten seit Juni nun schon fünf Mal
tagelang beisammen, ohne den Durchbruch zu schaffen. Großbritannien
fordert Bewegung von der Europäischen Union (EU), die wiederum
verlangt Zugeständnisse aus London. Am Freitag bekräftigten die 27
bleibenden EU-Länder in Brüssel ihre harte Linie. Aber worum geht es
überhaupt? Und wie geht es weiter? Das Wichtigste im Überblick zu dem
historischen Unterfangen, das Millionen Bürger direkt betrifft und
ganze Volkswirtschaften ins Trudeln bringen könnte:

DIE ENTSCHEIDUNG

Nach dem Votum einer knappen Mehrheit britischer Wähler für den
EU-Austritt am 23. Juni 2016 schickte Premierministerin Theresa May
am 29. März offiziell die Scheidungspapiere nach Brüssel und startete
damit die zweijährige Frist für einen Trennungsvertrag mit der EU.
Der Austritt kommt also unweigerlich am 29. März 2019 um Mitternacht.
Die Verhandlungen über eine gütliche Trennung begannen aber erst Ende
Juni nach einer Warteschleife für die von May ausgerufene
Unterhauswahl. Davon erhoffte sie sich eine Stärkung, verlor aber
überraschend ihre konservative Mehrheit im Unterhaus. Seitdem ist die
Regierungschefin politisch angeschlagen, in ihrer eigenen Partei
steht sie unter Druck.

DIE UNTERHÄNDLER

Für Großbritannien verhandelt in Brüssel Brexit-Minister David Davis

mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier. May versucht aber auch immer
wieder, selbst einzugreifen und auf Chefebene mit ihren EU-Kollegen
zu verhandeln, zuletzt beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in
Brüssel. Die EU blockt das ab und schickt Barnier vor.

WORUM ES GEHT

Die EU hat von Anfang an vorgegeben: Zuerst wird über drei zentrale
Trennungsfragen verhandelt. Das sind für die EU die Bleiberechte für
rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und 1,2 Millionen
Briten in der EU; die Gestaltung einer möglichst durchlässigen
EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen
Nordirland; und finanzielle Zusagen aus London für Verpflichtungen
aus der gemeinsamen EU-Zeit, inoffiziell geschätzt auf bis zu 100
Milliarden Euro. Erst wenn «ausreichende Fortschritte» erzielt sind,
will die EU über die künftigen Beziehungen reden. London will dagegen
möglichst sofort damit beginnen.

WAS BESONDERS UMSTRITTEN IST

In der Frage der Bleiberechte ist man vorangekommen - May sagte
zuletzt sogar, eine Einigung sei zum Greifen nah. Bei der
Irland-Frage ist man sich zumindest politisch einig, keine neuen
Konflikte auf der irischen Insel zu schüren und eine harte Grenze mit
Kontrollen zu vermeiden. Wie das gehen soll, ist jedoch offen. Am
heikelsten ist die Finanzfrage: May hört aus den eigenen Reihen, dass
100 Milliarden Euro viel zu viel seien. In einer Rede in Florenz
sagte sie zwar grundsätzlich zu, finanzielle Verpflichtungen zu
erfüllen. Auf konkrete Summen legt sie sich aber nicht fest. Die EU
will hier Details klären und zumindest eine Einigung auf eine
Berechnungsmethode erreichen.

WIE ES WEITER GEHEN KÖNNTE

Die 27 bleibenden EU-Länder sagten in ihrem Gipfel-Beschluss zum
Brexit am Freitag ganz klar: Die bisherigen Zugeständnisse reichen
uns nicht. Allerdings werden Fortschritte bei den Verhandlungen
anerkannt. Auf dieser Basis hält man einen Durchbruch bis Dezember
für möglich - dann könnte der Start der zweiten Verhandlungsphase
über die künftigen Beziehungen beschlossen werden. Darauf will sich
die EU jetzt systematisch vorbereiten. Denn, so sagte es
Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel, die zweite Etappe werde
wohl viel komplizierter als die erste. Dann geht es darum, wie man
möglichst ohne Zölle und Hindernisse Handel treiben kann, obwohl
Großbritannien aus dem Binnenmarkt ausscheidet und auch dessen Regeln
nicht mehr akzeptieren will.