Expertin für Glücksspielsucht: «Existenzbedrohend bis -vernichtend » Interview: Basil Wegener, dpa

08.11.2017 14:31

Wenn die Spielhalle zumacht, können Spieler zuhause nahtlos
weitermachen: Im Internet finden sie die Netzversion der Automaten.
Die Internet-Casinos können großen Schaden anrichten.

Berlin (dpa) - Online-Glücksspiel ist ebenso bequem wie riskant. Die
«Paradise Papers» lassen mit Enthüllungen über Verflechtungen von
Banken zu illegalen Internet-Casinos aufhorchen. Was Glücksspiel im
Netz bei Betroffenen anrichten kann, schildert die Vorsitzende des
Fachverbands Glücksspielsucht, Ilona Füchtenschnieder, der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin.

Frage: Wie groß sind die Suchtgefahren durch Online-Casinos?

Antwort: Online-Glücksspiele sind hoch suchtpotent. Es gibt keinerlei
soziale Kontrolle. Das Risiko, die Übersicht über das verlorene Geld
völlig zu verlieren, ist groß. Es gibt Finanzdienstleister, die
während des Spiels Kredit gewähren. Betroffene merken erst zu spät,
dass sie Schulden anhäufen. Im Netz gibt es die gleichen Automaten
wie in der Spielhalle. Wenn diese schließt, kann man zuhause
weiterspielen. Die Hilfsanfragen, die unsere Hotline erreichen,
deuten darauf hin, dass das Online-Glücksspiel zu einem immer
größeren Problem wird. 18 Prozent der Anrufer in diesem Jahr haben
Probleme mit dieser Art des Glückspiels - im vergangenen Jahr waren
es erst 9 Prozent.

Frage: Wer ist typischerweise betroffen?

Antwort: Das ist sehr gemischt. Es sind vielfach Menschen mit guten
Berufen, man braucht ja auch ein bisschen Geld, um überhaupt
einzusteigen. Und es sind eher Männer als Frauen. Die Betroffenen
machen oft verschiedene Stadien durch wie bei anderem Suchtverhalten
auch - bis hin zu starkem Suchtverhalten, das die sozialen
Beziehungen untergräbt und existenzbedrohend bis -vernichtend werden
kann.

Frage: Was müsste aus Ihrer Sicht passieren?

Antwort: Eigentlich ist es Finanzdienstleistern untersagt,
Geschäftsbeziehungen zu Online-Casinos zu unterhalten. Doch das
Verbot wird vom Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen (BaFin)
nicht ausreichend durchgesetzt. Dabei wäre dies gar nicht so
schwierig. Es existiert eine Liste mit zugelassenen
Glücksspielunternehmen. Die Banken müssten lediglich prüfen, ob
Glücksspieltransaktionen, die gesondert gekennzeichnet und somit
erkennbar sind, ausschließlich an diese zugelassenen
Glücksspielunternehmen gehen. Wer sich hieran nicht hält, sollte
Ärger mit der BaFin bekommen. Online-Casinos sind aus guten Grund in
Deutschland verboten, das hat das Bundesverwaltungsgericht gerade
erst noch einmal bestätigt. Dieses Verbot muss umgesetzt werden. Ich
hoffe, dass die Politik die Aufdeckungen der «Paradise Papers» in
diesem Bereich nicht einfach versacken lässt. Nötig ist auch eine
Ombudsstelle, die sich unabhängig und kompetent für die Betroffenen
einsetzt.

ZUR PERSON: Ilona Füchtenschnieder leitet die Landesfachstelle
Glücksspielsucht Nordrhein-Westfalen. Ehrenamtlich ist sie seit
Jahren Vorsitzende des Fachverbandes Glücksspielsucht (FAGS). Sie ist
Herausgeberin und Autorin von Publikationen, die sich mit
gesellschaftlichen, sozialen und therapeutischen Aspekten des
Glücksspiels und der Glücksspielsucht befassen.