Brexit: EU will Zugeständnisse aus London binnen zwei Wochen
10.11.2017 18:17
Seit knapp fünf Monaten kommen die Verhandlungen über den britischen
EU-Austritt kaum voran. Das macht nicht nur die deutsche Wirtschaft
nervös. Gibt es binnen zwei Wochen eine erste Grundsatzeinigung?
Brüssel (dpa) - Die Europäische Union macht Druck beim Brexit. Nach
einer weiteren Verhandlungsrunde ohne Durchbruch setzte Unterhändler
Michel Barnier der britischen Regierung am Freitag eine Frist von
zwei Wochen für Zugeständnisse. Premierministerin Theresa May stellte
ihrerseits klar, dass der EU-Ausstieg unwiderruflich am 29. März 2019
kommen soll. Der deutschen Wirtschaft macht der Konflikt zunehmend
Sorgen. Für Deutschland hängt von einer Einigung auch finanziell viel
ab, denn der Brexit könnte Berlin jährlich Milliarden kosten.
Donnerstag und Freitag hatten Barnier und seine Experten bereits zum
sechsten Mal mit Brexit-Minister David Davis und der britischen
Delegation über den EU-Austritt verhandelt. Doch auch nach dieser
Runde stellte Barnier fest, es gebe noch keinen «ausreichenden
Fortschritt» bei den drei wichtigsten Forderungen der EU. Wenn es
dabei binnen 14 Tagen keine Grundsatzeinigung gebe, werde man im
Dezember nicht wie geplant mit den Gesprächen über die künftigen
Beziehungen zu Großbritannien beginnen können, stellte Barnier klar.
Die EU will drei Themen unbedingt zuerst klären: die britischen
Finanzverpflichtungen nach mehr als 40 Jahren EU-Mitgliedschaft, den
künftigen Status der nordirisch-irischen Grenze sowie Garantien für
Millionen EU-Bürger in Großbritannien. Als besonders heikel gilt die
Abschlussrechnung: London soll einen hohen zwei- oder gar einen
dreistelligen Milliardenbetrag zahlen.
Erst wenn die EU bei allen drei Fragen «ausreichenden Fortschritt»
feststellt, will sie über ein Handelsabkommen und die künftige
Zusammenarbeit in anderen Fragen wie Sicherheit verhandeln.
Eigentlich sollte es schon im Oktober soweit sein, doch der EU-Gipfel
vertagte die Entscheidung auf Mitte Dezember.
Nun deutete Barnier an, dass ohne Durchbruch bis Ende November auch
dieser Termin wackelt. Für ein Austrittsabkommen würde damit die Zeit
sehr knapp. Ohne Verständigung scheidet das Vereinigte Königreich
2019 ungeregelt aus der EU aus - mit potenziell schwerwiegenden
Folgen vor allem für die Wirtschaft.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht wegen der
schleppenden Verhandlungen die Gefahr eines «sehr harten Brexits».
BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sagte der Deutschen
Presse-Agentur, es sei bedauerlich, dass es noch keinen ausreichenden
Fortschritt gebe. «Wir haben schon jetzt zu viel Zeit verloren». Klar
sei aber auch: «Ohne konkrete Aussagen zu den finanziellen
Verpflichtungen werden wir nicht vorankommen.»
In London machte Regierungschefin May aber klar, dass der Austritt in
jedem Fall wie vorgesehen kommen soll. Sie kündigte auf Facebook an,
das vorgesehene Austrittsdatum 29. März 2019, 23.00 Uhr gesetzlich
festzuschreiben. Offenbar will May pro-europäische Abweichler in der
eigenen Partei auf Linie bringen, die der Regierung ein Vetorecht des
Parlaments in Sachen Brexit-Abkommen abringen wollen.
Brexit-Befürworter fürchten, dass dies den EU-Austritt im letzten
Moment verhindern oder verzögern könnte.
Falls Großbritannien ohne Abkommen ausscheiden sollte, bliebe die EU
wohl auf ihrer Austrittsrechnung sitzen. Ohnehin fehlen der EU
künftig im Haushalt die bisher rund zehn Milliarden Euro Nettobeitrag
aus London. Müsste die Lücke nach bisherigen Regeln und
Rahmenbedingungen gestopft werden, käme nach einer Studie für das
Europaparlament auf Deutschland eine Mehrbelastung von 3,8 Milliarden
Euro pro Jahr zu, eine Steigerung um 16 Prozent. Die konkrete Zahl
ist allerdings vorerst nur theoretisch. Denn der EU-Finanzrahmen für
die Zeit nach 2020 wird neu ausgehandelt.