EU-Parlament prüft Rechtsstaatsverfahren gegen Polen

15.11.2017 14:55

So geht es nicht weiter mit Warschau. Da sind sich eine Mehrheit der
Europaparlamentarier und die EU-Kommission einig. Um wirklich etwas
ausrichten zu können, bräuchten sie auch die Unterstützung Ungarns.

Straßburg (dpa) - Nach Ungarn nun also Polen: Aus Sicht des
EU-Parlaments muss formal überprüft werden, ob sich Warschau noch an
europäische Grundwerte hält. Mit breiter Mehrheit stimmten die
EU-Abgeordneten am Mittwoch in Straßburg für eine entsprechende
Resolution. In Gefahr sehen sie wegen umstrittener Reformen
insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Medien- und
Versammlungsfreiheit.

Der Innenausschuss soll nun wesentliche Verletzungen der europäischen
Grundwerte auflisten. Auf dieser Grundlage will das Plenum später
darüber abstimmen, ob es die EU-Länder auffordert, ein Verfahren nach
Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen einzuleiten. Dies könnte den
Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat zur Folge haben.

Als «anschauliches Beispiel» dafür, dass sich Polen nicht an die
EU-Verträge halte, wird in der Resolution die Weigerung genannt,
Entscheidungen des EU-Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen. Die Abgeordneten beziehen
sich damit auf die Anordnung des EuGH, die Abholzung im
Bialowieza-Urwald vorerst zu beenden, sowie die Vorgabe des
Menschenrechtsgerichtshofs, Asylsuchende bis auf weiteres nicht nach
Weißrussland zurückzuschicken.

Der polnische EU-Abgeordnete Janusz Lewandowski von der
christdemokratischen EVP-Fraktion bedauerte, dass es wegen der
Politik der nationalkonservativen Regierung in Warschau überhaupt zu
diesen Debatten kommt. «Wir wollen diese Debatten nicht», sagte er
und fügte hinzu: «Wir wollen, dass die Welt stolz ist auf Polen.» Er

gehört der Oppositionspartei Bürgerplattform PO an.

Die konservative EKR-Fraktion, zu der auch die polnische
Regierungspartei PiS zählt, unterstützte die Resolution nicht. «Es
geht hier nicht um Rechtsstaatlichkeit», sagte der PiS-Abgeordnete
Ryszard Legutko. «Man möchte einfach zeigen, wer den Hammer in der
Hand hält», warf er den Befürwortern vor. Das Ganze sei «eine
antipolnische Orgie», sagte er und verließ demonstrativ den Saal,
ohne das Ende der Debatte abzuwarten. Polens Regierungschefin Beata
Szydlo bezeichnete die Ereignisse im Europaparlament als «skandalös».


In einem eigenen Papier hatte die EKR vor einer politisch motivierten
Debatte gewarnt und der EU-Kommission vorgeworfen, bei der Bewertung
der Rechtsstaatlichkeit der EU-Länder mit «zweierlei Maß» zu messen
.

Die Brüsseler Behörde droht bereits seit einigen Monaten mit der
Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7. «Der Justizminister in
Polen ist auch der Generalstaatsanwalt. Und es liegt im Ermessen des
Generalstaatsanwalts, die Präsidenten der Gerichte einzusetzen und zu
entlassen», sagte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans vor den
Abgeordneten. «Lassen Sie das mal für einen Moment sacken.»

Bei «schwerwiegender und anhaltender Verletzung» von Werten wie
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, greift Artikel 7 des EU-Vertrags.
Ein Drittel der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die
EU-Kommission können solch ein Verfahren auslösen. Als schwerste
Sanktion ist eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates
vorgesehen. Damit es jedoch zu diesem Schritt kommen kann, müssen
vorher die Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Staaten
einstimmig feststellen, dass tatsächlich ein «schwerwiegender und
anhaltender» Verstoß vorliegt.

Auch die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban
müsste also zustimmen, was unwahrscheinlich ist. Das nun für Polen
angestoßene Verfahren wird im EU-Parlament bereits seit Mai auch für
Ungarn beraten. Im September 2018 soll im Plenum abgestimmt werden.

Die beiden Länder sind nicht die einzigen über deren
Rechtsstaatlichkeit man sich diese Woche in Straßburg Gedanken
machte: Nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia und
Korruptions- sowie Geldwäschevorwürfen fragten sich die Abgeordneten
auch, ob auch in dem Mittelmeerstaat alles mit rechten Dingen zugeht.