Tag der Entscheidung: Deutschland hofft auf weitere EU-Behörde Von Ansgar Haase und Jörn Bender, dpa

19.11.2017 09:50

Zumindest für zwei europäische Städte dürfte der Brexit eine
lukrative Angelegenheit werden. Weil EU-Behörden aus London abgezogen
werden müssen, braucht es neue Standorte. Haben die deutschen
Bewerbungen bei der Wahl an diesem Montag Chancen?

Brüssel (dpa) - In Brüssel entscheidet sich an diesem Montag, ob
Deutschland im Zuge des Brexits Sitz einer weiteren EU-Behörde wird.
In einer geheimen Wahl werden Vertreter der EU-Staaten darüber
abstimmen, wohin die Standorte der derzeit in London beheimateten
Bankenaufsichtsbehörde EBA und der Arzneimittelagentur EMA verlegt
werden. Im Rennen sind auch Bonn als Sitz der EMA und Frankfurt am
Main für die EBA.

Beide Behörden sollen wegen des geplanten EU-Austritts
Großbritanniens so schnell wie möglich in eines der 27 verbleibenden
EU-Länder umgesiedelt werden. Bonn tritt dabei gegen 18, Frankfurt
gegen 7 andere EU-Städte an.

Wer den Zuschlag erhält, kann auf immense Zusatzeinnahmen hoffen. Die
für die Bewertung und Überwachung von Arzneimitteln zuständige EMA
und die für die Bankenaufsicht zuständige EBA richten jährlich
Hunderte Konferenzen und Veranstaltungen mit Experten aus aller Welt
aus. Zuletzt sorgten beide Agenturen in London für rund 39 000
zusätzliche Hotelübernachtungen pro Jahr.

Hinzu kommt, dass auch die meisten hoch qualifizierten Mitarbeiter
umziehen dürften. Die EMA beschäftigte zuletzt immerhin rund 900
Menschen, die Bankenaufsicht EBA, die sich um Wahrung der
Finanzstabilität in der EU und das ordnungsgemäße Funktionieren des
Bankensektors kümmert, kam auf knapp 200.

Der Ausgang der Abstimmung im EU-Ministerrat gilt als offen. Kritiker
warnen schon seit Wochen, dass es für hervorragend geeignete Bewerber
wie Bonn oder Frankfurt böse Überraschungen geben könnte.

Das Wahlverfahren sieht nämlich vor, dass in der ersten Wahlrunde
alle 27 abstimmenden EU-Staaten drei Punkte an ihren Favoriten sowie
zwei Punkte an ihre Nummer zwei und einen Punkt an ihre Nummer drei
vergeben. Dies könnte zu einem Ausscheiden von guten Standorten in
der ersten Runde führen, wenn alle Bewerberländer sich selbst die
drei Punkte geben und die anderen an scheinbar unqualifizierte
Mitbewerber verteilen, um die Konkurrenz zu schwächen.

Diplomaten zufolge versuchen Ländervertreter schon seit Wochen, sich
über Deals und Versprechen die Stimmen anderer Länder zu sichern. So
hat Deutschland nach Informationen des «Spiegel» (Samstag) eine
Abmachung mit Griechenland getroffen: Demnach unterstützt die
Regierung in Athen die Frankfurter Bewerbung um die EBA; im Gegenzug
gebe die Bundesregierung ihre Stimme im EMA-Auswahlverfahren der
griechischen Hauptstadt.

Offiziell sollen bei der Wahl nur sechs Kriterien eine Rolle spielen.
Dazu gehören unter anderem die Arbeitsbedingungen, die
Verkehrsanbindung, die bisherige Zahl der EU-Agenturen und die
Möglichkeit eines schnellen und problemlosen Umzugs.

Dass sowohl Bonn als auch Frankfurt als Sieger aus dem
Standortwettbewerb hervorgehen, ist ausgeschlossen. Eine der
Verfahrensregeln besagt nämlich, dass jedes Land höchstens eine der
Agenturen bekommen kann. Neben Frankfurt gelten Dublin und Paris als
Favoriten für den EBA-Sitz. Für die EMA werden Städte wie Mailand,
Bratislava, Amsterdam und Kopenhagen als geeignete Kandidaten
genannt. Bonn hat demnach lediglich Außenseiterchancen.

Gegen Deutschland allgemein spricht unter anderem, dass es mit der
Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) in Köln und der
Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die
betriebliche Altersversorgung (EIOPA) in Frankfurt bereits zwei
EU-Organe beherbergt. Zudem wird an der Bonner Bewerbung kritisiert,
dass sie die EMA erst einmal in Übergangsräumen unterbringen will.
Bei Frankfurt wird in einer Bewertung der EU-Kommission die nicht
garantierte Mietfreiheit für die Behörde hervorgehoben.

In der deutschen Bankenmetropole gibt es dennoch Hoffnung. «Wenn es
rein nach rationalen Gesichtspunkten geht, dann geht am Standort
Frankfurt kein Weg vorbei», bekräftigte vor wenigen Tagen Hessens
Finanzminister Thomas Schäfer (CDU). Ministerpräsident Volker
Bouffier (CDU) reiste Anfang November eigens nach Brüssel, um
gemeinsam mit dem geschäftsführenden Bundesfinanzminister Peter
Altmaier (CDU) und dem früheren Bundesfinanzminister Theo Waigel
(CSU) Werbung für Frankfurt als künftigen EBA-Sitz zu machen.

Auch aus Sicht der Akteure an Deutschlands führendem Finanzplatz gibt
es für den Umzug der Bankenaufsicht nur eine logische Variante. «Die
EBA gehört nach Frankfurt, um das ganz klar zu sagen», sagt etwa
DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch. «Sie ist damals an den größten
Finanzplatz in Europa, nach London gegangen, der künftig nicht mehr
dazugehören wird. Also gehört die EBA hierher.»

Schon jetzt haben im Grunde alle wichtigen Banken der Welt eine
Dependance in «Mainhattan», zudem hat sich Frankfurt zu Europas
Aufsichtshauptstadt entwickelt - unter anderem mit der Europäischen
Zentralbank (EZB) und der Versicherungsaufsicht EIOPA. Die Wege sind
kurz, ein schnell erreichbarer internationaler Flughafen verbindet
Hessens größte Stadt mit der Finanzwelt.

Eine pragmatische Entscheidung pro Frankfurt erwartet allerdings
niemand - auch EBA-Chef Andrea Enria nicht: «Das ist eine sehr
politische Entscheidung», sagte der Italiener Anfang der Woche bei
einer Tagung in Frankfurt. «Ich hoffe, dass wir bald einen neuen Sitz
haben, damit wir anfangen können, zu planen.»

Der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europaparlament, Jens Geier,
forderte eine Entscheidung im Sinne des Steuerzahlers. «Jetzt kann
der Rat zeigen, dass er es mit dem Sparen ernst meint - und die
Bankenaufsicht aus London dorthin verlegen, wo bereits eine der
beiden anderen EU-Finanzagenturen arbeitet», sagte Geier der
Deutschen Presse-Agentur.

Die EU-Marktaufsicht in Paris und die EU-Rentenaufsicht in Frankfurt
beschäftigten schon heute jeweils einen Direktor, einen
Sicherheitsdienst und eine Kantine. «Das ist nicht doppelt nötig»,
kommentierte er. Die Einsparungen könnten für andere wichtige
EU-Aufgaben genutzt werden, beispielsweise im Bereich der
Cybersicherheit, Terrorbekämpfung oder Asylpolitik.