Ein Jahr «Pulse of Europe» - Was haben die Kundgebungen gebracht? Von Ira Schaible, dpa

18.11.2017 09:25

Die Bürgerbewegung «Pulse of Europe» entstand vor rund einem Jahr in

Frankfurt. Die Kundgebungen sind inzwischen seltener geworden und es
kommen weniger Menschen. Hat die Bewegung noch eine Zukunft?

Frankfurt/Main (dpa) - Die Entscheidung für den Brexit und die Wahl
von Donald Trump zum US-Präsidenten gaben den Ausschlag: Daniel und
Sabine Röder - zwei überzeugte Europäer aus Frankfurt - gründeten v
or
rund einem Jahr eine Initiative für ein starkes Europa: «Pulse of
Europe» (Puls Europas). Mehrere tausend Menschen in rund 20 Ländern
gingen in den Hoch-Zeiten sonntags auf die Straße, vor allem vor den
Wahlen in den Niederlanden und Frankreich. Das Engagement des
Anwaltspaars und seiner Mitstreiter wurde mit dem Bürgerpreis der
deutschen Zeitungen ausgezeichnet.

Inzwischen sei der Zulauf aber - wie erwartet - abgeebbt, stellt
Protestforscher Dieter Rucht fest. Der Bewegung fehle die
Reibungsfläche. Zwar gehen noch immer zumindest einmal im Monat - in
der Regel am ersten Sonntag um 14 Uhr - in mehreren deutschen Städten
Menschen für ein vereintes, starkes und demokratisches Europa auf die
Straße. So viele wie früher sind es jedoch längst nicht mehr.

Den Ausgang der Wahl in Frankreich mit der Niederlage der
rechtsextremen Front National nennt Daniel Röder als einen Grund.
«Viele Leute sind nach der Frankreich-Wahl beruhigt und haben das
Gefühl, jetzt ist Europa gerettet und alles gut.» Zumal Präsident
Emmanuel Macron den Diskurs über die Reform Europas anschiebe.

Für die Organisatoren in einigen Städten seien die Kundgebungen zudem
ein ziemlicher Marathon gewesen. Sie wollen erstmal durchschnaufen
und seien in den Stand-by-Modus gegangen. Darüber seien andere
wiederum enttäuscht. Röder hält das für einen «ganz normalen Effe
kt»,
mit dem man lernen müsse, umzugehen. Eine Kundgebung pro Woche sei
auf Dauer nicht machbar.

Der Berliner Sozialforscher Rucht gibt zu Bedenken: «Wenn man mit so
allgemein formulierten Zielen antritt, die keine konkreten
Zwischenetappen beinhalten, ist es schwer, einen Fortschritt
festzustellen.» Die Symbolik mit Luftballons, Europafahnen und -Hymne
aufzutreten reiche auf Dauer nicht.

«Bewegungen werden immer dann stark, wenn sie offensiv ihre Anliegen
bündeln können und an einen Adressaten, das mag auch ein symbolisches
Objekt sein, richten können.» Als Beispiel nennt er Kohlekraftwerke
in der Klimapolitik. «Bei Europa ist das eigentlich zu diffus. Man
hat keinen konkreten Anknüpfungspunkt.» Dazu komme: «Würde die
Bewegung konkrete Ansatzpunkte wählen, würde sich das Feld der
Anhänger und Sympathisanten aufteilen.»

Auch Rucht stellt aber fest: «Es ist ein sympathisches Anliegen.»
Allerdings gebe es auch Bewegungen, die an Umarmungen erstickten.
«Die Politiker freuen sich darüber.» So sei kein Zufall, dass «Puls
e
of Europe» inzwischen mit Preisen regelrecht überhäuft werde. «Das

ist aber auch ein Anzeichen dafür: es tut nicht weh, es ist harmlos
und man kann es beklatschen.»

Dennoch sei das Engagement nicht ohne Konsequenz. Ein Teil der Leute
werde sich woanders engagieren, etwa für die Europapolitik einer
Partei. «Oder sie machen als Verband weiter.» So könnte sich eine
frische Bewegung zu den bereits bestehenden pro-europäischen
Organisationen gesellen.

Die Zukunft hänge im wesentlichen davon ab, «wie wir uns als
Organisation verstetigen», sagt Röder, der inzwischen eine
Geschäftsstelle gegründet hat. «Das hängt auch davon ab, wie wir
Spendengeld akquirieren können.» Es gebe aber so viele Brandherde in
Europa, die jeder für sich ihre Aufmerksamkeit verdienen» sagt er,
und nennt Spanien als Beispiel.

«Wir haben schon viel erreicht», meint Röder. Die Aufmerksamkeit sei

hergestellt und eine Rückkopplung mit der Politik gelungen. «Europa
ist wieder mehr in den Focus geragten. Man weiß, auch dass viele
Pro-Europäer aktivierbar sind.» Zudem könne nicht alles über eine
zentrale Bewegung laufen. «Wir hoffen, dass wir viele Leute
angezündet haben, viele kleine Aktionen auch für sich zu machen und
im Freundes- und Bekanntenkreis zu diskutieren.»