Wählen wie beim Song Contest: EU entscheidet über neue Behördensitze

20.11.2017 03:20

Wird Deutschland zu den Ländern zählen, die zumindest ein bisschen
vom Brexit profitieren? In Brüssel fällt jetzt die Entscheidung über

den künftigen Sitz von zwei noch in London angesiedelten EU-Behörden.
Das Wahlverfahren erinnert an den Eurovision Song Contest.

Brüssel (dpa) - Die deutschen Städte Bonn und Frankfurt am Main
erfahren am Montag, ob sie Sitz einer der aus London abziehenden
EU-Behörden werden. In einer geheimen Wahl stimmen Vertreter der
EU-Staaten am Nachmittag in Brüssel darüber ab, wohin die Standorte
der Bankenaufsichtsbehörde EBA und der Arzneimittelagentur EMA
verlegt werden. Beide Behörden sollen wegen des geplanten
EU-Austritts Großbritanniens so schnell wie möglich in eines der 27
verbleibenden EU-Länder umgesiedelt werden.

Bonn bewirbt sich neben 18 anderen europäischen Städte um die für die

Bewertung und Überwachung von Arzneimitteln zuständige EMA. Frankfurt
am Main konkurriert mit sieben Städten um den künftigen Standort der
EBA, die sich um Wahrung der Finanzstabilität und das ordnungsgemäße

Funktionieren des Bankensektors kümmert.

Wer den Zuschlag erhält, kann auf hohe Zusatzeinnahmen hoffen. Die
EMA und die EBA richten jährlich Hunderte Konferenzen und
Veranstaltungen mit Experten aus aller Welt aus. In London sorgten
beide Agenturen zuletzt pro Jahr für rund 39 000 zusätzliche
Hotelübernachtungen.

Hinzu kommt, dass auch die meisten hoch qualifizierten Mitarbeiter
umziehen dürften. Die EMA beschäftigte zuletzt immerhin rund 900
Menschen, die Bankenaufsicht EBA kam auf knapp 200.

Der Ausgang der Abstimmung im EU-Ministerrat gilt als offen. Kritiker
warnen schon seit längerem, dass es für geeignete Bewerber wie Bonn
oder Frankfurt böse Überraschungen geben könnte.

Das liegt auch am Wahlverfahren, dass an den Eurovision Song Contest
(ESC) erinnert: Es sieht nämlich vor, dass in der ersten Wahlrunde
alle 27 abstimmenden EU-Staaten drei Punkte an ihren Favoriten sowie
zwei Punkte an ihre Nummer zwei und einen Punkt an ihre Nummer drei
vergeben. Dies könnte zu einem Ausscheiden von guten Standorten in
der ersten Runde führen, wenn alle Bewerberländer sich selbst die
drei Punkte geben und die anderen an scheinbar unqualifizierte
Mitbewerber verteilen, um die Konkurrenz zu schwächen.

Diplomaten zufolge versuchen Ländervertreter seit Wochen, sich über
Deals und Versprechen die Stimmen anderer Länder zu sichern. So hat
Deutschland nach Informationen des «Spiegel» (Samstag) eine Abmachung
mit Griechenland getroffen: Demnach unterstützt die Regierung in
Athen die Frankfurter Bewerbung um die EBA; im Gegenzug soll die
Bundesregierung im EMA-Auswahlverfahren die griechische Hauptstadt
Athen unterstützen.

Offiziell sollen bei der Wahl nur sechs Kriterien eine Rolle spielen.
Dazu gehören unter anderem die Arbeitsbedingungen, die
Verkehrsanbindung, die bisherige Zahl der EU-Agenturen und die
Möglichkeit eines schnellen und problemlosen Umzugs.

Dass sowohl Bonn als auch Frankfurt als Sieger aus dem
Standortwettbewerb hervorgehen, ist ausgeschlossen. Eine der
Verfahrensregeln besagt nämlich, dass jedes Land höchstens eine der
Agenturen bekommen kann. Neben Frankfurt gelten Dublin und Paris als
Favoriten für den EBA-Sitz. Für die EMA werden Städte wie Mailand,
Bratislava, Amsterdam und Kopenhagen als geeignete Kandidaten
genannt. Bonn hat demnach lediglich Außenseiterchancen.