Deutschland ebnet den Weg für Glyphosat - und für großen Streit Von Verena Schmitt-Roschmann, Bettina Grachtrup und Alkimos Sartoros, dpa

27.11.2017 18:14

Deutschland hat sich in der Brüsseler Schlacht um das Herbizid
Glyphosat immer wieder enthalten und so klare Mehrheiten verhindert.
Doch dann kam die plötzliche Wende.

Brüssel (dpa) - Monatelang wurde gestritten, doch jetzt ist klar: Der
Unkrautvernichter Glyphosat bleibt in Europa noch fünf Jahre auf dem
Markt. Die EU-Kommission ist erleichtert, die Agrarindustrie ebenso.
Verbraucher- und Umweltschützer sind indes entsetzt. Und für die
amtierende Bundesregierung ist der Verlauf der Abstimmung in Brüssel
am Montag politisch ein GAU mit unabsehbaren Folgen - auch für die
mögliche Neuauflage großen Koalition.

Worum geht es?

Der Unkrautvernichter Glyphosat ist sehr wirksam, gilt als preiswert
und wird weltweit in der Landwirtschaft genutzt, um Ernten zu
verbessern. Entwickelt wurde der Wirkstoff vom US-Konzern Monsanto -
den der deutsche Konkurrent Bayer übernehmen will. Das Mittel wird
aber auch von mehr als 40 weiteren Herstellern vertrieben. Umstritten
ist es wegen des Verdachts, es könnte Krebs erregen und die Umwelt
schädigen.

So stufte die Internationale Krebsforschungsagentur der
Weltgesundheitsorganisation das Herbizid im März 2015 als
«wahrscheinlich krebserregend» für den Menschen ein. Allerdings sehen

die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa, die
Chemikalienagentur Echa und das deutsche Bundesinstitut für
Risikobewertung keine ausreichende Belege für ein solches Risiko.
Unabhängig davon gibt es Bedenken, unter anderem beim
Umweltbundesamt, gegen die Vernichtung von Kräutern und Gräsern auf
Ackerflächen. Damit werde Insekten und Feldvögeln großflächig die
Lebensgrundlage entzogen.

Was ist die Position der EU-Kommission?

Die EU-Kommission wollte ursprünglich eine Verlängerung der Lizenz um
zehn Jahre. Dafür bekam sie aber im Kreis der EU-Mitgliedsländer
keine Unterstützung. Auch ein neuer Antrag auf Verlängerung um fünf
Jahre fiel Anfang November durch. Daraufhin beantragte die Brüsseler
Behörde für Montag ein Vermittlungsverfahren und erhielt dort
letztlich die Unterstützung von 18 der 28 EU-Länder. Neun Staaten
stimmten dagegen, darunter auch die großen Agrarländer Frankreich und
Italien.

Wie ist die deutsche Haltung?

Deutschland hatte sich bei vorherigen Abstimmungen immer wieder
enthalten, weil Agrarminister Christian Schmidt (CSU) und
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Chancen und Risiken des
Mittels unterschiedlich bewerteten. Am Montag aber stimmte der
deutsche Vertreter im Vermittlungsverfahren überraschend zu. Schmidt
begründete dies damit, dass die EU-Kommission die Genehmigung sonst
auf eigene Kappe ohnehin erteilt hätte. So aber habe man Auflagen
durchsetzen können.

Hendricks widersprach sofort öffentlich. Noch zwei Stunden vor Beginn
der Sitzung habe sie ihren Widerstand bekräftigt und auf Enthaltung
Deutschlands gedrungen. Die deutsche Zustimmung gab nach Berechnungen
des Umweltministeriums letztlich den Ausschlag für die Verlängerung.
Mit Blick auf eine mögliche Neuauflage der großen Koalition zürnte
Hendricks: «Jeder, der an Vertrauensbildung zwischen
Gesprächspartnern interessiert ist, kann sich so nicht verhalten.»

Wieso war die Kommission überhaupt so erpicht auf die Verlängerung?

Da mehrere europäische Agenturen kein Krebsrisiko sahen,
argumentierte die Kommission, man könne schwerlich die Zulassung
verweigern. Die Entscheidung wollte sie aber nicht alleine treffen,
denn europäische Bürgerinitiative hat mehr als eine Million
Unterschriften gegen das bei Umweltschützern verpönte Mittel
gesammelt. Andererseits drohten die Hersteller von Glyphosat
inzwischen mit Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe, falls der
Stoff nicht wieder zugelassen werde und es dabei zu «Rechtsverstößen
»
komme. Dies meldete der «Tagesspiegel» Anfang November aus der
Kommission. Möglich gehalten würden Summen von bis zu 15 Milliarden
Euro.