Merkel rügt Schmidts Glyphosat-Alleingang - SPD reicht das nicht

28.11.2017 16:48

Die Kanzlerin distanziert sich im Glyphosat-Streit vom Agrarminister.
Der CSU-Mann bleibt aber im Amt. Die erzürnte SPD will die CDU-Chefin
so einfach nicht davonkommen lassen. Und fordert vor neuen Gesprächen
über eine Koalition «vertrauensbildende Maßnahmen».

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Agrarminister
Christian Schmidt für seinen Alleingang bei der EU-Zustimmung zum
Unkrautvernichter Glyphosat gerügt - will den CSU-Politiker aber
offensichtlich im Amt lassen. Merkel machte am Dienstag deutlich,
dass das Vorgehen Schmidts in Brüssel gegen die in der schwarz-roten
Regierung verabredete Abstimmungspraxis verstieß und sie persönlich
nicht eingebunden war. «Das entsprach nicht der Weisungslage, die von
der Bundesregierung ausgearbeitet war», sagte sie. Auf Nachfragen, ob
eine - von der SPD durchaus erwartete - Entlassung Schmidts nicht
fällig wäre, antwortete die Kanzlerin nicht.

Der SPD jedenfalls reicht Merkels Distanzierung kurz vor der
Spitzenrunde zur Regierungsbildungskrise mit der Union nicht aus.
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte in Berlin: «Ich bin
weiterhin der Auffassung, dass wir eine vertrauensbildende Maßnahme
brauchen.» Die Kanzlerin habe nur eine Selbstverständlichkeit
ausgesprochen. «Nämlich, dass sich alle Minister an die
Geschäftsordnung der Bundesregierung zu halten haben.» Sind sich die
Koalitionspartner bei einem Thema uneinig, muss Deutschland sich bei
EU-Abstimmungen enthalten.

Hendricks sprach erneut von einem «Affront» Schmidts. Zuvor hatte sie
betont, eine Entlassung Schmidts wäre eine solche vertrauensbildende
Maßnahme. Allerdings wolle sie das nicht fordern.

Bei der Abstimmung auf EU-Ebene hatte der deutsche Vertreter auf
Geheiß Schmidts am Montag dafür gestimmt, dass der Unkrautvernichter
Glyphosat fünf weitere Jahre von europäischen Bauern auf ihre Felder
gesprüht werden darf. Bislang hatte sich Deutschland der Stimme
enthalten, weil Umweltministerin Hendricks dagegen war, Schmidt
jedoch seit langem dafür.

Glyphosat ist ein weitverbreitetes Unkrautgift. Es ist hoch
umstritten und steht im Verdacht, Krebs auszulösen. Umweltschützer
fürchten auch negative Folgen für Tier- und Pflanzenwelt.

Schmidts Verhalten hatte bei der SPD große Empörung ausgelöst. Von
einem groben Foulspiel vor dem Treffen der drei Parteichefs Martin
Schulz (SPD), Horst Seehofer (CSU) und Merkel CDU) an diesem
Donnerstag bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war die Rede.
Bei der Unterredung sollen Wege aus der Regierungsbildungskrise nach
dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen
gesucht werden. Denkbar sind eine erneute große Koalition, eine
Merkel-Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Bereits am Dienstag war
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bei Steinmeier zu Gast.

SPD-Fraktionsmanager Carsten Schneider attackierte Merkel. «Der
Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin ist greifbar geworden und
beschädigt die vertrauensvolle und reibungslose Zusammenarbeit in der
Bundesregierung.» Solche chaotischen Abläufe wie bei Glyphosat seien
für das größte Land in der EU völlig inakzeptabel. «Völlig offe
n
geblieben ist, wie die Bundeskanzlerin sicherstellen will, dass sich
ein solcher Fall nicht wiederholt. Ihre Glaubwürdigkeit steht in
Frage.» Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ging bei n-tv noch
einen Schritt weiter: «Mir wär's ehrlich gesagt schon recht, wenn sie
jetzt ginge.»

Merkel, die mit Schmidt selbst gesprochen hatte, missbilligte dessen
Verhalten: «Es ist etwas, was sich nicht wiederholen darf», sagte
sie. Ansonsten sei «ein gedeihliches, gemeinsames Arbeiten in der
Bundesregierung nicht möglich». Die CDU-Chefin stellte gleichzeitig
klar, dass sie in der Sache auf Schmidts Seite stehe - also die von
der Wirtschaft geforderte verlängerte Glyphosat-Zulassung gutheißt.

Die Kanzlerin versuchte ansatzweise, Brücken zur SPD zu bauen, indem
sie etwa an Manuela Schwesig erinnerte, die in ihrer Zeit als
SPD-Bundesfamilienministerin auf EU-Ebene sich bei der von ihr
geforderten Frauenquote aus Koalitionsräson stets enthalten habe.
«Wir haben in der Bundesregierung in den letzten vier Jahren
schmerzlichste Prozesse gehabt, wo Enthaltungen notwendig waren,
obwohl das den Ministern persönlich sehr, sehr weh getan hat», sagte
Merkel.

Deutschland enthalte sich in etwa einem Viertel bis einem Drittel der
Abstimmungen in Brüssel, weil es keine Einigkeit zwischen den von den
Regierungsparteien CDU, CSU und SPD geführten Ministerien gegeben
habe. «Deshalb erwarte ich auch, dass ein solches Vorkommnis sich
nicht wiederholt.» Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) werde
dies noch einmal verdeutlichen.

Schmidt ist in der geschäftsführenden Regierung derzeit nicht nur
Agrar-, sondern auch Verkehrsminister. In dieser Rolle nahm er am
Dienstag gemeinsam mit Merkel und Hendricks am Diesel-Gipfel mit den
Kommunen im Kanzleramt teil. Hendricks sagte nach der Veranstaltung,
Schmidt habe den Versuch unternommen, sich bei ihr zu entschuldigen.
«Ich will auch nicht auf Dauer eine Entschuldigung zurückweisen. Aber
ich hab ihm gesagt, dass man so blöd eigentlich nicht sein könnte.»


Schmidt hatte zuvor bereits betont, dass er alleine gehandelt habe:
«Ich habe eine Entscheidung für mich getroffen und in meiner
Ressortverantwortung», sagte er in der ARD. «Das sind Dinge, die man
auf die Kappe nehmen muss.» Schmidts Chancen, für die CSU in einer
künftigen Regierung wieder Minister zu werden, galten schon lange als
eher gering. CSU-Chef Horst Seehofer hat sich bislang zur Causa
Glyphosat nicht geäußert.

Grünen-Politiker Jürgen Trittin kritisierte Schmidt scharf.
«Christian Schmidt hat sich in Kamikaze-Manier gleich doppelt falsch
entschieden: Für die Geschäftsinteressen der Bayer AG, gegen die
Gesundheit der Menschen in Europa - und gegen das Grundgesetz», sagte
Ex-Umweltminister Trittin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der Leverkusener Bayer-Konzern will den Glyphosat-Hersteller Monsanto
in den USA übernehmen. Bayer teilte mit, eine Verlängerung der
Glyphosat-Zulassung in der EU um fünf Jahre sei zu kurz - besser
wären 15 Jahren. Die Sicherheit des Unkrautvernichters sei in bislang
rund 3300 Studien wissenschaftlich untersucht worden.