Brexit: Kompromiss zur Schlussrechnung in Arbeit Von Verena Schmitt-Roschmann und Silvia Kusidlo, dpa

29.11.2017 16:59

Am Montag steht eine Zwischenbilanz an: Reicht der Fortschritt der
Brexit-Verhandlungen, um die zweite Phase zu starten? Bei einem von
drei Streitpunkten gibt es Bewegung.

Brüssel/London (dpa) - Nach monatelangem Streit über die
Schlussrechnung beim EU-Austritt Großbritanniens bahnt sich offenbar
ein Kompromiss an. Es gebe Bewegung, wenn auch noch keine Einigung,
erklärten EU-Vertreter am Mittwoch. Großbritannien hat nach Angaben
der Europa-SPD erstmals ein detailliertes Angebot für Zahlungen
vorgelegt, das auf wichtige Forderungen der Europäischen Union
eingeht.

Alle Augen richten sich nun auf ein Treffen von
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der britischen
Premierministerin Theresa May am Montag. Dann soll nicht nur eine
Grundsatzeinigung bei der Schlussrechnung, sondern auch bei zwei
weiteren umstrittenen Themen geschafft sein: den künftigen Rechten
von EU-Bürgern in Großbritannien und der Vermeidung einer Grenze
zwischen Irland und Nordirland.

An allen drei Themen werde noch gearbeitet, sagte EU-Unterhändler
Michel Barnier am Mittwoch in Berlin. «Wir haben es noch nicht
geschafft. Wir arbeiten diese Woche weiter an den drei
Schlüsselfragen - konstruktiv und mit der Absicht, echten
ausreichenden Fortschritt zu erzielen.» Der Brexit-Beauftragte des
Europaparlaments, Guy Verhofstadt, mahnte Barnier in einem offenen
Brief, beim Status der EU-Bürger weitere Zugeständnisse
herauszuholen. Zum Teil gebe es in den Verhandlungen Rück- statt
Fortschritte.

Der irische EU-Kommissar Phil Hogan bestätigte aber immerhin
offiziell Bewegung im Streit über die Schlussrechnung. Britische
Medien hatten bereits von einer finanziellen Grundsatzeinigung
berichtet. Demnach wird London - je nach Auslegung einer vereinbarten
Berechnungsmethode - zwischen 45 und 55 Milliarden Euro zahlen. Die
britische Regierung nannte dies am Mittwoch «Spekulation».

Der Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Jens Geier,
bestätigte der Deutschen Presse-Agentur aber, dass ein Angebot aus
London vorliege und dieses «akzeptabel» erscheine. Darin würden keine

Summen genannt, was die EU aber auch nie gefordert habe, sagte Geier.
Wichtig sei die Bestätigung, dass unter anderem langfristige
Pensionszahlungen der EU anteilig mitbezahlt würden.

Großbritannien will Ende März 2019 aus der Europäischen Union
austreten. Brüssel pocht darauf, dass London seinen Anteil für
gemeinsam getroffene Finanzentscheidungen bezahlt - für den
EU-Haushalt, gemeinsame Fonds und Pensionslasten. Inoffizielle
EU-Berechnungen gehen von bis zu 100 Milliarden Euro aus. May hatte
bei einer Rede in Florenz 20 Milliarden Euro ins Spiel gebracht.

Nur wenn die EU bei allen drei Schlüsselfragen - also
Schlussrechnung, Rechte der Bürger und Irland - am Montag
«ausreichenden Fortschritt» erkennt, will sie Mitte Dezember die
Verhandlungen über die künftigen Beziehungen mit Großbritannien
starten. Daran ist London dringend interessiert. Ein
Freihandelsabkommen soll auch künftig enge Bande zur EU und möglichst
reibungslosen Handel sichern.

Die finanziellen Zusagen macht die EU zur Voraussetzung - allerdings
sind sie für Premierministerin May politisch heikel. Nach einer
Umfrage halten weniger als elf Prozent aller Wähler eine Summe von
über 30 Milliarden Euro für akzeptabel. Angesichts der Berichte über

viel höhere Summen sprach der ehemalige Chef der EU-feindlichen
Ukip-Partei, Nigel Farage, von einem «Ausverkauf». «Ich habe immer
argumentiert, dass kein Deal besser ist als ein schlechter», sagte
der Europaparlamentarier.

Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna beklagte, dass Brexit-Befürworter
wie Außenminister Boris Johnson niemals gesagt hätten, dass es eine
«hohe Rechnung für die Scheidung» geben werde - «ganz im Gegenteil
».
Die europafreundlichen Liberalen forderten nochmals ein zweites
Referendum, damit die Briten neu über den Brexit abstimmen können.

May steht gewaltig unter Druck. Die regierenden Konservativen
schlingern in ihrem Brexit-Kurs und zwingen die Premierministerin zu
einem Eiertanz zwischen der Drohung mit einem harten Ausstieg ohne
Zugeständnisse und sanften Kompromisssignalen an Brüssel. Die
Regierungschefin ist seit dem Verlust ihrer konservativen Mehrheit
bei der Neuwahl vom Juni schwer angeschlagen.