Eurokrise Adé? Europa schaut hoffnungsvoll aufs Finanzjahr 2018 Von Alkimos Sartoros und Takis Tsafos, dpa

01.12.2017 02:47

Gut acht Jahre lang lastete die Finanzkrise schwer auf den Schultern
Europas. Im kommenden Jahr hoffen die EU und ihre Krisenländer, die
Misere endgültig hinter sich zu lassen. Doch es gibt eine Menge
Risiken.

Brüssel/Athen (dpa) - Ausgerechnet Alexis Tsipras: Der griechische
Premierminister, der 2015 als Kämpfer gegen Europas Spardiktat antrat
und die Eurozone an den Rand des Zusammenbruchs führte, könnte sein
Land und letztlich die gesamte Währungsunion im kommenden Jahr aus
den Wirren der Finanzkrise führen. Geht alles glatt, könnte
Griechenland nach fast einem Jahrzehnt wieder ohne Hilfsgelder
auskommen. Auch im Rest Europas geht es mittlerweile deutlich
aufwärts. Doch die wirtschaftliche Erholung könnte auf tönernen Fü
ßen
stehen. Ein Aus- und Überblick über die wirtschaftspolitische
Großwetterlage:

GRIECHENLAND: Für das lange Zeit pleitebedrohte Griechenland war das
Ende der Finanzkrise noch nie so nah. Die Wirtschaft wächst, die
Neuverschuldung sinkt, auch die Arbeitslosigkeit geht zurück. 2018
wird ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent erwartet - nach einem
angepeilten Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,6 Prozent im
laufenden Jahr. Die Arbeitslosigkeit soll Ende 2018 auf 20 Prozent
sinken. «Wir hoffen sogar, dass sie auf 19 Prozent zurückgehen
könnte. Das wäre noch eine positive Überraschung», sagte ein hoher

Beamter des Athener Finanzministeriums der Deutschen Presse-Agentur.
Noch vor zwei Jahren lag die Erwerbslosigkeit bei 25 Prozent und
damit EU-weit am höchsten.

Tsipras' Links-Rechts-Regierung rechnet zudem mit weiteren guten
Nachrichten: Der Primärüberschuss - ohne die Kosten für den
Schuldendienst - soll bei 3,8 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen.
Die internationalen Kreditgeber aus Europäischer Zentralbank,
Euro-Rettungsfonds ESM, EU-Kommission und Internationalem
Währungsfonds (IWF) hatten Griechenland für 2018 ein Etatziel von 3,5
Prozent vorgegeben.

In der Hochphase der Krise im Sommer 2015 hatten die internationalen
Geldgeber und Athen sich nach nervenaufreibenden Verhandlungen auf
das dritte Hilfspaket in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro bis Mitte
2018 verständigt. Im Gegenzug muss das Land eine lange Liste an Spar-
und Reformmaßnahmen umsetzen. Tsipras, der im Januar 2015 mit dem
Versprechen ins Amt gewählt wurde, den Sparvorgaben zu trotzen, ist
mittlerweile eifrig bemüht, alle Auflagen so schnell wie möglich zu
erfüllen und die Krisenjahre endgültig hinter sich zu lassen.

Die letzten Reformen, die Tsipras Regierung nun umsetzen muss, sind
allerdings sehr schmerzhaft für die Wähler der
Links-Rechts-Regierung. Teile des Energieversorgers DEI müssen
privatisiert werden. Die Banken müssen sich den faulen Krediten in
ihren Bilanzen widmen. Häuser und Wohnungen von Schuldnern, die nicht
zahlen, könnten beschlagnahmt werden und unter den Hammer kommen.

Und es kommt noch schlimmer: Nach wie vor türmt sich in Athen ein
Schuldenberg in Höhe von etwa 180 Prozent des BIP auf.
Steuererhöhungen, Rentenkürzungen, Teilzeit, Perspektivlosigkeit und

Auswanderung sind zudem Realität in der griechischen
Gesellschaft. Schätzungen der Gewerkschaften zufolge sind in den
vergangenen vier Jahren zwischen 400 000 und 500 000 überwiegend
junge und gut ausgebildete Griechen ausgewandert.

Die Spar-Auflagen haben auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem:
Wegen der Finanzkrise wurden in den vergangenen sechs Jahren kaum
neue Ärzte und Krankenhauspersonal eingestellt. In vielen
Krankenhäusern sieht man heutzutage viele ältere Mediziner. Nach
Angaben des Athener Ärzteverbandes sind seit 2010 mehr als 18 000
junge griechische Ärzte ausgewandert.

Das Problem der hohen Arbeitslosigkeit ist aus Sicht der
Gewerkschaften zudem kaum nachhaltig gelöst: Fast zwei Drittel aller
griechischen Arbeitnehmer haben keinen Vollzeitjob. Stattdessen
arbeiten rund 60 Prozent der Menschen in Teilzeit oder in
Rotation. Vor allem junge Menschen arbeiten oft für weniger als 400
Euro im Monat. Viele von ihnen leben deshalb am Rande der Armut und
sind auf die Unterstützung ihrer Familien angewiesen.

«Griechenland braucht jetzt nicht nur Maßnahmen zur Regelung seines
Schuldenberges sondern auch Investitionen», sagt der Professor für
Ökonomie der Universität Athen, Panagiotis Petrakis. Andernfalls
werde das Land nie richtig aus der Wirtschaftskrise herauskommen.
Angesichts dessen scheint zumindest fraglich, ob Griechenland ab
Sommer 2018 tatsächlich ganz ohne fremde Hilfe auskommen kann.

ANDERE EINSTIGE KRISENLÄNDER wie die Republik ZYPERN sind hingegen
mittlerweile aus dem Schneider. Nach der schweren Bankenkrise im Jahr
2013 ist die Inselrepublik wieder auf Kurs und kann sich mit eigenen
Kräften finanzieren. Dabei setzten die nationalen Politiker alle von
EU und IWF diktierten Reformen zügig in die Tat um - das
Rettungsprogramm war mit einem Volumen von nur zehn Milliarden Euro
und deutlich weniger Auflagen allerdings auch nicht mit dem für
Griechenland vergleichbar.

Die Arbeitslosigkeit soll 2018 auf etwa zehn Prozent fallen (2017
geschätzt 10,7 Prozent). Die Europäische Bank für Wiederaufbau und

Entwicklung (EBRD) erwartet 2018 ein Wachstum von 2,5 Prozent für
Zypern. Zahlreiche Griechen haben auf Zypern Arbeit gefunden. 

Das Euroland war im Frühjahr 2013 nur mit Krediten internationaler
Geldgeber vor der Pleite bewahrt worden. Die zweitgrößte Bank des
Landes, die Laiki Bank, wurde zerschlagen. Anleger mussten mit einer
Zwangsabgabe zur Rettung beitragen: Die Kunden des größten
Geldinstituts, der Bank of Cyprus (BOC), wurden mit 47,5 Prozent
ihrer Guthaben von mehr als 100 000 Euro zur Sanierung herangezogen.

Als SPANIEN das Rettungsprogramm im November 2013 verließ, hatte das
Land gerade einmal 40 Milliarden Euro der ursprünglich genehmigten
100 Milliarden Euro für den Bankensektor aufgebraucht.

Vier Jahre später steht das Land wieder recht gut da - auch wenn die
Katalonien-Krise Sorgen macht - und auch im nächsten Jahr noch für
Unruhe sorgen könnte. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum in der
wirtschaftsstarken Region und der Entmachtung der Regionalregierung
hatte die Regierung in Madrid im Oktober ihre Wachstumserwartung für
das kommende Jahr von 2,6 auf 2,3 Prozent korrigiert. Für dieses Jahr
geht die Regierung von 3,1 Prozent aus.

Die Arbeitslosenquote in Spanien war zuletzt im dritten Quartal auf
das niedrigste Niveau seit rund neun Jahren gefallen. Sie sank auf
16,4 Prozent - damit war die Quote so niedrig wie seit dem vierten
Quartal 2008 nicht mehr.

Dennoch: Die Staatsverschuldung Spaniens erreicht trotz des
Sanierungsprogramms der konservativen Regierung von Mariano Rajoy
2017 einen geschätzten Rekordstand von mehr als 1,1 Billionen Euro -
und kratzt somit an der 100-Prozent-Marke des BIP. Die EU erlaubt
allerdings nur eine Quote von maximal 60 Prozent. «Spanien wird wohl
erst mit 20 Jahren Verspätung die 60-Prozent-Marke erreichen»,
rechneten spanische Medien vor.

DIE AUSSICHTEN FÜR DIE GESAMTE EUROZONE sind zumindest auf den ersten

Blick so gut wie lange nicht. Die EU-Kommission rechnet in den 19
Staaten des Währungsgebiets 2017 mit einem BIP-Zuwachs von 2,2
Prozent, 2018 von 2,1 Prozent. Die Eurozone könnte damit das stärkste
Wirtschaftswachstum seit gut einem Jahrzehnt hinlegen. Gleichzeitig
soll die Schuldenquote - also das Verhältnis der Staatsschulden zum
BIP - 2017 auf 89,3 und 2018 auf 87,2 Prozent sinken.

Nach Einschätzung der EU-Kommission steht die Erholung aber noch
nicht auf festen Füßen. Fürs Wirtschaftswachstum seien nach wie vor
flankierende Maßnahmen etwa der EZB nötig, heißt es bei der Brüssel
er
Behörde. Auch aus Sicht von EZB-Präsident Mario Draghi ist der
Euroraum weiter auf billiges Geld der Notenbank angewiesen, weil ein
nachhaltiger Inflationsanstieg nicht in Reichweite seien.

Im Oktober hatten die Währungshüter den ersten vorsichtigen Schritt
zum Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik
beschlossen: Die EZB verlängerte zwar ihre vor allem in Deutschland
umstrittenen Wertpapierkäufe bis Ende September 2018, halbiert aber
das Volumen ab Januar auf monatlich 30 Milliarden Euro. Der Leitzins
im Euroraum bleibt mindestens bis zum Ende des gewaltigen
Kaufprogramms auf dem Rekordtief von null Prozent, was Kredite und
Investitionen billig hält, aber Sparer schwer belastet.

Sorgen bereitet zudem vor allem ITALIEN. Das Land weist nach
Griechenland mit etwa 130 Prozent die höchste Schuldenquote in der EU
auf, zudem drücken in den Bilanzen der Banken viele faule Kredite.
Sollte das Eurozonen-Schwergewicht ernsthaft ins Schwanken kommen,
wäre zudem auch der ESM, der in der Vergangenheit maßgeblich die
Euro-Rettungsprogramme schulterte, aller Voraussicht nach deutlich
überfordert.

Vor diesem Hintergrund dürfte die REFORMDEBATTE über die Wirtschafts-
und Währungsunion in den kommenden Monaten deutlich an Fahrt
gewinnen. Einer der größten Zankäpfel ist die Einführung eines
gemeinsamen Sicherungssystems für Bankguthaben. Deutschland sperrt
sich, da die Banken hierzulande fürchten, im Zweifelsfall für in
Schieflage geratene Institute anderer Länder zu haften. Experten
argumentieren aber, dass bereits die Verteilung von Haftungsrisiken
auf europäische Schultern zu mehr Sicherheit in kommenden Krisen
beitragen würde. Für Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis ist

die Lage klar: «Wir sollten nicht auf die nächste Krise warten.»