Brexit: Gelingt endlich der erste Durchbruch? Von Christoph Meyer und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

04.12.2017 05:30

In 16 Monaten sagt Großbritannien: Good Bye, European Union. Es ist
ein Abschied mit Hängen und Würgen. Aber vielleicht geht es nun
zumindest ein Stück voran.

Brüssel/London (dpa) - Ab Montag soll endlich klarer werden, wie es
mit dem Brexit weiter geht. Die Verhandlungen über den für 2019
geplanten EU-Austritt Großbritanniens treten seit Monaten auf der
Stelle. Doch in den nächsten Tagen könnte die erste große Hürde
genommen werden. Ob dies gelingt? Bis zuletzt mussten die
Unterhändler kräftig hämmern und meißeln - es lagen dicke Brocken i
m
Weg.

Worum geht es?

Großbritannien will 2019 aus der Europäischen Union, dem Binnenmarkt
und der Zollunion ausscheiden, um mehr Spielraum in der Migrations-,
Handels- und Finanzpolitik zu bekommen. Premierministerin Theresa May
strebt aber auch künftig eine «besondere Partnerschaft» mit der EU
an, vor allem sehr enge Handelsbeziehungen. Darüber will sie
verhandeln, aber vorher verlangt die EU Zusagen in drei Punkten:
London soll für gemeinsam eingegangene Verpflichtungen auch nach dem
Brexit Milliarden nach Brüssel überweisen; EU-Bürger in
Großbritannien sollen weiter ohne Einschränkungen dort leben dürfen.

Und das EU-Mitglied Irland soll nicht durch eine Grenze vom
britischen Nordirland getrennt werden.

Was passiert am Montag?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bespricht sich vormittags
(11.00 Uhr) zunächst mit Abgeordneten des Europaparlaments. Dann will
er bei einem Mittagessen mit May in Brüssel (13.15 Uhr) eine Bilanz
der bisherigen Brexit-Verhandlungen ziehen. Sowohl Juncker als auch
EU-Ratspräsident Donald Tusk haben London eine klare Frist bis zum 4.
Dezember gesetzt, also bis Montag. Gibt es bis dahin «ausreichende
Fortschritte», könnte die EU-Kommission am Mittwoch den Start der
Verhandlungen über die künftige Partnerschaft empfehlen. Den
Beschluss würde dann der EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember treffen.
Sieht die EU diese Fortschritte nicht, müssten die seit Juni
laufenden Gespräche eine weitere Ehrenrunde drehen. Eine solche
Verzögerung würde wohl die Wirtschaft beidseits des Kanals noch
nervöser machen, die ohnehin wegen der Brexit-Unsicherheit besorgt
ist.

Wie stehen die Chancen auf Einigung?

EU-Diplomaten gaben sich zuletzt zuversichtlich, denn bei zwei von
drei Knackpunkten sah es gut aus. Für die sogenannte Schlussrechnung
hat London nach EU-Angaben ein Angebot für langfristige Zahlungen zum
Beispiel für Beamtenpensionen und andere Haushaltsposten vorgelegt.
Schätzungen gehen von bis zu 55 Milliarden Euro aus. Bei der
Finanzfrage scheine «eine Klärung am Montag möglich», sagt der
CDU-Europaabgeordnete und Brexit-Beauftragte Elmar Brok. Auch bei den
von der EU gewünschten rechtlichen Garantien für EU-Bürger in
Großbritannien sei eine Einigung erreichbar. Als besonders schwierig
galt indes bis zuletzt die Irland-Frage.

Wo liegt das Problem?

Die Republik Irland bleibt EU-Mitglied, während Nordirland mit
Großbritannien die Gemeinschaft verlässt. Zwischen beiden verläuft
also künftig eine EU-Außengrenze. Wenn auf beiden Seiten
unterschiedliche Zölle, Regeln und Vorgaben gelten, müssen Waren und
Personen an der Grenze eigentlich kontrolliert werden. Das gilt aber
als politisch heikel. Denn erst das Zusammenwachsen der Insel in
einem gemeinsamen Wirtschaftsraum hat die früher so ausgeprägten
Konflikte zwischen irischen Nationalisten und probritischen
Unionisten gelindert. Die irische Regierung will deshalb, dass sich
vor Ort im Alltag nichts ändert.

Wie soll das funktionieren?

Das können auch Experten im Moment nicht sagen. Alle diskutierten
Optionen treffen auf Widerstände. So brachte Großbritannien
«technologiebasierte Lösungen» ins Spiel, etwa die Überwachung mit

Drohnen und Zollkontrollen im Hinterland. Doch das bezeichnet selbst
der Brexit-Ausschuss im britischen Parlament als «ungetestet und
teilweise spekulativ». Auch Irland sieht darin keine Lösung. London
wiederum wehrt sich dagegen, Nordirland einen Sonderstatus zu geben
und zum Beispiel im Binnenmarkt und in der Zollunion zu lassen. Das
wäre insbesondere für die nordirische Partei DUP inakzeptabel, auf
deren Stimmen May im britischen Parlament angewiesen ist. Eine echte
Lösung kann es wohl nur im Zusammenhang mit der künftigen
Handelspolitik geben - oder wenn sich Großbritannien dazu entscheiden
würde, komplett in der Zollunion zu bleiben. Als Zwischenetappe
fordert Irland vorerst eine schriftliche Garantie. Bis zuletzt waren
Diplomaten in Brüssel nicht sicher, wie diese aussehen könnte.