Durchbruch beim Brexit? Pustekuchen Von Christoph Meyer und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

04.12.2017 18:17

In 16 Monaten sagt Großbritannien: Good Bye, European Union. Es ist
ein Abschied mit Hängen und Würgen. Das hat sich am Montag wieder
bestätigt.

Brüssel/London (dpa) - Jean-Claude Juncker fand warme Worte für die
britische Regierungschefin. «Es war eine Freude, Premierministerin
May zu treffen», sagte der EU-Kommissionspräsident am
Montagnachmittag nach einem mehr als dreistündigen Mittagessen mit
der Britin in Brüssel. «Unsere persönliche Beziehung ist exzellent.
»

Juncker lobte May auch noch respektvoll als harte Verhandlerin, als
echte Kämpferin für die Interessen Großbritanniens. Dann aber kam er

zum bitteren Kern der Sache: Ein Durchbruch bei den
Brexit-Verhandlungen sei leider noch nicht möglich gewesen, sagte der
Kommissionschef. May war sich da ausnahmsweise mit ihm völlig einig.

Nun gehen die Bemühungen um eine erste Einigung in diesem extrem
schwierigen Unterfangen also abermals in die Verlängerung. Bis 15.
Dezember soll doch noch ein Kompromiss stehen. Er sei da
zuversichtlich, sagte Juncker.

Worum geht es?

Großbritannien will 2019 aus der Europäischen Union, dem Binnenmarkt
und der Zollunion ausscheiden, um mehr Spielraum in der Migrations-,
Handels- und Finanzpolitik zu bekommen. Premierministerin May strebt
aber auch künftig eine «besondere Partnerschaft» mit der EU an, vor
allem sehr enge Handelsbeziehungen. Darüber will sie so schnell wie
möglich verhandeln. Aber vorher verlangt die EU Zusagen in drei
Punkten: London soll für gemeinsam eingegangene Verpflichtungen auch
nach dem Brexit Milliarden nach Brüssel überweisen; EU-Bürger in
Großbritannien sollen weiter ohne Einschränkungen dort leben dürfen.

Und das EU-Mitglied Irland soll nicht durch eine Grenze vom
britischen Nordirland getrennt werden.

Was ist am Montag passiert?

Juncker informierte zunächst einmal wichtige Abgeordnete des
Europaparlaments über den jüngsten Verhandlungsstand - und danach
hörten sich die Parlamentarier sehr zuversichtlich an. Er habe ein
gutes Gefühl, sagte zum Beispiel der CDU-Abgeordnete und
Brexit-Beauftragte Elmar Brok. Dann traf Juncker die britische
Regierungschefin zu dem «Arbeitsessen», bei dem eigentlich nur noch
einige wenige offene Punkte in einem vorformulierten
Verhandlungsdokument geschlossen werden sollten. Aber das sogenannte
Essen zog und zog sich. Und als Juncker und May kurz vor 17.00 Uhr
vor die Journalisten traten, kamen sie mit leeren Händen: Keine
Einigung.

Woran lag es?

EU-Diplomaten hatten schon vor Tagen deutlich gemacht, dass es bei
zwei von drei Knackpunkten gut aussah. Für die sogenannte
Schlussrechnung hatte London nach EU-Angaben ein Angebot für
langfristige Zahlungen zum Beispiel für Beamtenpensionen und andere
Haushaltsposten vorgelegt. Schätzungen gehen von bis zu 55 Milliarden
Euro aus. Das wäre für die EU wohl akzeptabel. Auch bei den von der
EU gewünschten rechtlichen Garantien für EU-Bürger in Großbritannie
n
war man einer Einigung dem Vernehmen nach nahe. Als besonders
schwierig galt indes bis zuletzt die Irland-Frage. Und am Ende wird
alles zusammen nur als Paket vereinbart oder gar nicht.

Wo liegt das Problem?

Die Republik Irland bleibt EU-Mitglied, während Nordirland mit
Großbritannien die Gemeinschaft verlässt. Zwischen beiden verläuft
also künftig eine EU-Außengrenze. Wenn auf beiden Seiten
unterschiedliche Zölle, Regeln und Vorgaben gelten, müssen Waren und
Personen an der Grenze eigentlich kontrolliert werden. Das gilt aber
als politisch heikel. Denn erst das Zusammenwachsen der Insel in
einem gemeinsamen Wirtschaftsraum hat die früher so ausgeprägten
Konflikte zwischen irischen Nationalisten und probritischen
Unionisten gelindert. Die irische Regierung will deshalb, dass sich
vor Ort im Alltag nichts ändert.

Wie soll das funktionieren?

Das ist auch Experten nicht klar - eine wirkliche Lösung wird sich
wohl bestenfalls finden, wenn die langfristigen Handelsbeziehungen
geklärt sind. Als Zwischenlösung fand man jetzt aber eine
Kompromissformel: das «alignment». Das bedeutet auf Deutsch in etwa
«Abgleich» oder «Angleichung». Gemeint ist, dass sich Regeln und
Vorschriften im Norden und Süden der irischen Insel auf Dauer nicht
wesentlich unterscheiden sollen. Faktisch müssten also die Regeln des
EU-Binnenmarkts in Nordirland weiter gelten beziehungsweise
gleichlautende nationale Regeln.

Können damit alle leben?

Offensichtlich nicht. Noch während May mit Juncker zusammensaß,
meldete sich die nordirische Partei DUP zu Wort und nannte jede Art
von Sonderregel für Nordirland inakzeptabel. Man wolle zu denselben
Konditionen aus der EU raus wie das übrige Vereinigte Königreich.
Daraus zogen Schotten und Waliser gleich den Umkehrschluss: Wenn
Nordirland die Vorteile des Binnenmarkts weiter genießen dürfe, dann
wolle man das auch, erklärten Regierungsvertreter auf Twitter.