Durchbruch beim Brexit - Nun Start in Verhandlungsphase zwei

08.12.2017 13:06

Erst die Scheidung - dann die neue Beziehung: Die Europäische Union
hat sich bei den Verhandlungen mit Großbritannien eisern an ihren
Fahrplan gehalten. Nun sind die ersten Hürden genommen.

Brüssel (dpa) - Gut 15 Monate vor dem Ausscheiden Großbritanniens aus
der Europäischen Union sind endlich die ersten wichtigen Fragen
geklärt. Die Einigung verkündeten EU-Kommissionschef Jean-Claude
Juncker und Premierministerin Theresa May am Freitag. Demnach zahlt
London auch nach dem EU-Austritt 2019 weiter Milliarden an Brüssel,
gewährt Millionen EU-Bürgern im Land umfassende Bleiberechte und
garantiert, dass keine feste Grenze in Irland entsteht.

Damit scheint der Weg frei für die wichtige zweite Verhandlungsphase.
Vor allem die Wirtschaft reagierte erleichtert.

Die Europäische Union hatte die Klärung der drei Topthemen zur
Bedingung für Verhandlungen über künftige Handelsbeziehungen beider
Seiten gemacht, die London unbedingt rasch klären will. Das
offizielle Startsignal könnten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die
übrigen Staats- und Regierungschefs nächste Woche auf dem EU-Gipfel
geben. Die Bundesregierung begrüßte den Durchbruch am Freitag.

Die EU will allerdings nach den Worten von Ratspräsident Tusk in der
zweiten Phase zunächst nur über eine Übergangszeit nach dem Brexit
reden, die die Folgen Austritts für Bürger und Wirtschaft abpuffern
soll. Erst danach soll es im Detail um den von London gewünschten
Handelspakt gehen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte auch
erstmals, wie er sich diesen Pakt vorstellt: ähnlich wie das
Handelsabkommen Ceta mit Kanada.

Um den ersten Durchbruch nach sechs Monaten Brexit-Verhandlungen
hatten beide Seiten in den vergangenen Tagen intensiv gerungen. «Wir
haben in dieser Woche extrem hart gearbeitet», sagte May. Noch am
Montag hatte sie eine fast fertige Vereinbarung nicht abschließen
können, weil ihr Partner im Parlament, die nordirischen Partei DUP,
Widerstand anmeldete.

Nun scheinen die Reihen in London einigermaßen geschlossen.
DUP-Chefin Arlene Foster sagte dem Sender Sky, sie hätte gerne noch
weitere Punkte geklärt. Aber: «Uns ist die Zeit ausgegangen.»

Der britische Außenminister und Brexit-Befürworter Boris Johnson
gratulierte May auf Twitter zu Durchbruch. Großbritannien werde nun
auf eine «tiefe und besondere» Partnerschaft hinarbeiten und
gleichzeitig «Kontrolle über Gesetze, Geld und Grenzen zurückholen»
.

Der letzte große Knackpunkt der ersten Verhandlungsphase war die
Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem
britischen Nordirland vermieden werden können. Irland pochte auf eine
schriftliche Zusage Großbritanniens. Nun sagte May: «Wir werden
garantieren, dass es keine harte Grenze gibt.» Die irische Regierung
erklärte sich damit zufrieden.

Allerdings ist nicht klar, wie dies praktisch umgesetzt werden soll,
zumal May keinen Sonderstatus für Nordirland will, wie sie
ausdrücklich bekräftigte. Sie verwies auf die weiteren Verhandlungen
und das gewünschte Handelsabkommen mit der EU. Man ziele auf
«einzigartige» Lösungen für Irlands spezielle Lage.

Bewegung hatte es schon vor Tagen bei den beiden anderen Topthemen
gegeben. Bei den künftigen Rechten der 3,2 Millionen EU-Bürger in
Großbritannien hat die EU aus Junckers Sicht durchgesetzt, dass sie
ihr Leben dort weiter führen können wie bisher.

Die finanziellen Zusagen Großbritanniens wollte Barnier nicht genau
beziffern. Wichtig sei das Prinzip, dass die während der
EU-Mitgliedschaft gemeinsam eingegangenen Verpflichtungen beglichen
würden, sagte der Unterhändler. Dabei geht es unter anderem um
Pensionslasten für EU-Beamte, die noch jahrzehntelang fällig werden
könnten. Schätzungen gehen von einer Gesamtsumme von bis zu 55
Milliarden Euro aus.

Während der geplanten Übergangsfrist von etwa zwei Jahren soll
Großbritannien ohnehin nicht nur seine bisherigen Beiträge von netto
etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr überweisen. Es soll auch sämtliche
EU-Vorgaben einhalten, ohne weiter Stimmrechte zu haben, wie Tusk
sagte: «Wir haben unsere Bedingungen.» Er verlangte zudem klarere
Ansagen aus London, wie die Handelsbeziehungen aussehen sollen.

Obwohl etliche Unsicherheiten bleiben, zeigte sich die deutsche
Wirtschaft in erster Linie froh, dass die Brexit-Verhandlungen nun
weitergehen. «Die Einigung zwischen der EU und Großbritannien ist ein
verspätetes Nikolausgeschenk für die deutsche Wirtschaft», erklärte

der Deutsche Industrie- und Handelskammertag.