Polen hat neuen Ministerpräsidenten - Streit um Justizreform

08.12.2017 18:14

Einmal mehr stimmt das polnische Parlament für eine umstrittene
Justizreform - trotz aller Kritik von EU und Europarat. Derweil
wechselt die rechtskonservative Regierungspartei PiS den
Ministerpräsidenten aus.

Warschau/Berlin (dpa) - Der polnische Präsident Andrzej Duda hat am
Freitag den bisherigen Finanz- und Wirtschaftsminister Mateusz
Morawiecki zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Der 49-Jährige
Ex-Banker gilt als Vertrauter von Jaroslaw Kaczynski (68), der als
Vorsitzender der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und
Gerechtigkeit (PiS) als der «starke Mann» in der polnischen Führung
gesehen wird. Die PiS-Parteiführung hatte am Donnerstag entschieden,
die bisherige Ministerpräsidentin Beata Szydlo durch Morawiecki zu
ersetzen.  

Nach seiner Ernennung bedankte sich Morawiecki bei Szydlo für «das,
was sie für das weiß-rote Team» (Polen) getan habe. Das Programm der

bisherigen Regierung werde auch «der Wegweiser» für ihn sein. Szydlo

werde in Morawieckis Regierung als Vize-Ministerpräsidentin für
soziale Angelegenheiten verantwortlich sein, sagte eine Sprecherin
ihrer Kanzlei.

Die Bundesregierung will die engen Beziehungen zu Polen auch nach dem
Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten fortsetzen. «Wir haben ein
sehr starkes Interesse an einer engen und vertrauensvollen
Zusammenarbeit mit Polen, das unser Freund und Nachbar ist», sagte
Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. «Wir sind
überzeugt, dass auch mit einem neuen Regierungschef wir eng
zusammenarbeiten werden.»

Trotz scharfer Kritik des Europarates billigte das polnische
Unterhaus am Freitag zwei von Präsident Andrzej Duda vorgelegte
Gesetzentwürfe zur Justizreform. Abgeordnete der Opposition und der
größte Richterbund des Landers, Iustitia, warfen der PiS vor, die
Justiz unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Der Richterbund
verkündete nach der hitzigen Sitzung im Sejm, er werde «die
Menschenrechte bis zum letzten unabhängigen Richter verteidigen». In

Warschau und anderen Städten kam es zu kleineren spontanen
Protesten. 

Die Venedig-Kommission, die die Staaten des Europarates
verfassungsrechtlich berät, warnte am Freitag, dass die Reform die
Unabhängigkeit der polnischen Justiz «einer ernsthaften
Gefahr» aussetze. Die Änderungen des Präsidenten hätten nur «se
hr
begrenzte Verbesserungen» gegenüber den ursprünglichen
Entwürfen gebracht.  

Bereits im Juli hatte die PiS drei Gesetze durchs Parlament gebracht,
die das Justizsystem reformieren sollten. Präsident Duda stoppte nach
Protesten im ganzen Land zwei der drei Gesetze per Veto, weil er
Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit hatte. Doch auch seine
Gegenentwürfe, über die am Freitag abgestimmt wurde, stellten
Rechtsexperten und Opposition nicht zufrieden.

Einer der beiden Gesetzesentwürfe betrifft den Obersten Gerichtshof.
Er soll eine Disziplinarkammer bekommen, die über die Arbeit der
Richter im Lande wacht. Kritiker befürchten, dass diese missbraucht
werden könnte, um unliebsame Richter einzuschüchtern. Auch die
Venedig-Kommission äußerte Bedenken: Das Gesetz gebe den Richtern
dieser Kammer Sonderbefugnisse, die sie weit über andere Richter
stelle.

Kritisiert wird auch die Absenkung des Rentenalters für die Richter
am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre. Die Maßnahme diene der PiS
dazu, die Kader auszutauschen, meint die Opposition. 

Das zweite Gesetz betrifft den Landesjustizrat (KRS), der für die
Ernennung der Richter fast aller Gerichte im Land verantwortlich ist.
Das Gesetz sieht vor, dass die Richter dieser Kammer vom Parlament
gewählt werden statt wie bisher von der Richterschaft selbst. Die
Venedig-Kommission warnte vor einer «weitreichenden Politisierung der
Kammer».

Die Kommission veröffentlichte eine weitere Stellungnahme, in der sie
empfahl, das Amt des Generalstaatsanwaltes und des Justizministers
wieder zu trennen. Diese beiden Ämter hatte die polnische Regierung
2016 zusammengelegt. 

Die Sorge vor staatlichem Einfluss auf Polens Gerichte treibt auch
die EU-Kommission weiter um. Dudas Gesetze würden nicht den
EU-Standards entsprechen, hatte Vize-Kommissionspräsident Frans
Timmermans nach vorläufiger Prüfung der Reformen gesagt.

Wegen umstrittener Veränderungen des polnischen Justizsystems hatte
Brüssel bereits 2016 ein allgemeines Verfahren zum Schutz der
Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Diese Untersuchung führte bislang zu
keinem befriedigenden Ergebnis. Zuletzt drohte die EU-Kommission die
Einleitung eines weiteren Verfahrens an, durch das Polen sogar bei
Abstimmungen im EU-Ministerrat sein Stimmrecht verlieren kann.

Beide Gesetze müssen noch von der zweiten Kammer des Parlaments, dem
Senat, angenommen und vom Präsidenten unterschrieben werden. Beides
gilt als sehr wahrscheinlich.