Ex-EZB-Chef Trichet: Langsames Auslaufen der Geldflut richtig

19.12.2017 15:32

Als EZB-Präsident traf er auch umstrittene Entscheidungen. Mit bald
75 Jahren hält Jean-Claude Trichet das Krisenmanagement der Notenbank
unverändert für erfolgreich. Der überzeugte Europäer fordert zuglei
ch
mehr Engagement der Politik bei der Reform Europas.

Frankfurt/Main (dpa) - Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hält den
vorsichtigen Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) beim Ausstieg
aus ihrer ultralockeren Geldpolitik für richtig. «Die jüngste
Entscheidung der EZB, das Tapering im Januar 2018 zu beginnen, war
sehr wichtig und markiert den Beginn der Normalisierung», sagte
Trichet, der am 20. Dezember seinen 75. Geburtstag feiert, der
Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt.

Die Notenbank hatte im Oktober den ersten Schritt zum Eindämmen der
Geldflut («Tapering») beschlossen: Zwar setzt die Notenbank ihre vor

allem in Deutschland umstrittenen Wertpapierkäufe bis Ende September
2018 fort, halbiert aber das Volumen ab Januar auf monatlich 30
Milliarden Euro. Der Leitzins im Euroraum bleibt mindestens bis zum
Ende des Kaufprogramms auf dem Rekordtief von null Prozent.

«Wir sollten uns immer wieder klarmachen, dass die außergewöhnlich
lockere Geldpolitik rund um die Welt eine Antwort auf die abnormale
Situation der realen Volkswirtschaften ist», sagte Trichet. «Wir
müssen unsere Volkswirtschaften so bald wie möglich wieder zurück in

die Normalität führen.»

Trichet, der die EZB von November 2003 bis Ende Oktober 2011 führte,
bekräftigte ähnlich wie sein Nachfolger Mario Draghi: «Die
Zentralbanken tun alles, was sie können. Alle anderen Partner müssen
mitziehen: Regierungen, Parlamente, Privatsektor, Sozialpartner. Die
Zentralbanken können und sollten es nicht alleine richten.»

Als Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 und die folgende
Euro-Schuldenkrise öffneten Europas Währungshüter die Geldschleusen
weit und brachen im Kampf gegen Konjunkturschwäche und Mini-Inflation
so manches Tabu. In Trichets Amtszeit fiel etwa der EZB-Beschluss,
Staatsanleihen von klammen Euroländern wie Griechenland zu kaufen.

«Ich weiß, dass einige dieser Entscheidungen nicht unbedingt von
allen gutgeheißen wurden», sagte Trichet. «Aber ich bin überzeugt,

dass sie notwendig waren - insbesondere in Europa.»

Die jüngste Finanzkrise sei eine Ausnahmesituation gewesen, «die es
seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat, eine Lage, die
möglicherweise sogar schlimmer war als die Krise von 1929/1930»,
betonte Trichet. «Wir alle waren in eine sehr dramatische Situation
geraten. Das ist eine Tatsache. In dieser außerordentlich schwierigen
Situation mussten Zentralbanken und Regierungen außergewöhnliche
Maßnahmen ergreifen, um ein Drama zu verhindern.»

Er schätze Deutschland sehr, bekräftigte der Franzose, der während
seiner Zeit als EZB-Präsident acht Jahre mit seiner Frau in Frankfurt
lebte. Die teils heftige Kritik am Kurs der Notenbank in der
deutschen Öffentlichkeit jedoch könne er nicht nachvollziehen.

«Zum Start des Euro war die Hauptangst in Deutschland: Würde der Euro
seinen Wert halten? Wird er eine schwache Währung?», erinnerte
Trichet. «Wie Sie wissen, ist genau das Gegenteil passiert. Die
Zentralbank hat beachtliche Arbeit geleistet, um den inneren und
äußeren Wert des Euro zu erhalten. In den vergangenen 19 Jahren wurde
die Preisstabilität des Euro deutlich besser gewährleistet als in den
vorangegangenen 40 Jahren nationaler Währungen - einschließlich der
D-Mark. Ich weiß, dass das deutsche Volk diese Leistung schätzt.»

Trichet betonte: «Der Euro blieb in der schlimmsten Finanzkrise seit
dem Zweiten Weltkrieg als Währung immer glaubwürdig und der Euroraum
bewies eine beeindruckende Widerstandsfähigkeit.» In der Krise wuchs
der Währungsraum sogar von 15 auf 19 Mitglieder.

Europa und der Euroraum bräuchten jetzt allerdings neue Impulse. «Wir
müssen nicht nur die wirtschaftliche, fiskalische und finanzielle
Führung verbessern, sondern uns auch in der gemeinsamen Verteidigung
engagieren: Sicherheit, Kampf gegen den Terrorismus und
quasi-föderale Kontrolle unserer Schengen-Grenzen», sagte Trichet.

Ohne Emmanuel Macron direkt zu erwähnten stellte sich Trichet hinter
die Reformagenda des jungen französischen Präsidenten. «Wir brauchen

einen Finanzminister der Eurozone. Und wir sollten dem Europäischen
Parlament mehr Gewicht geben, insbesondere im Format der Eurozone, um
mehr demokratische Verantwortung zu erreichen», sagte Trichet.

Macron hatte im September einen bis 2024 reichenden Fahrplan mit
zahlreichen und teils konfliktträchtigen Forderungen für einen
weitreichenden Umbau der Europäischen Union präsentiert. Unter
anderem will er einen eigenen Haushalt und einen Finanzminister für
die Eurozone. «Ich hoffe sehr und ich bin zuversichtlich, dass
Deutschland und Frankreich gemeinsam das günstige Zeitfenster nutzen
werden, das sich aktuell bietet, um der Europäischen Einheit neue
Impulse zu geben», sagte Trichet.