«Monsieur Euro» Trichet auch im Ruhestand auf der Weltbühne Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa

19.12.2017 10:00

Er steuerte den Euro durch die Finanzkrise - und brach dabei manches
Tabu der Geldpolitik. Noch heute zieht Jean-Claude Trichet an vielen
Orten die Fäden.

Frankfurt/Main (dpa) - Washington, Peking, Singapur, London, Brüssel
- Jean-Claude Trichet ist ein gefragter Mann. «Meine Frau beklagt,
dass meine freie Zeit so eng bemessen zu sein scheint wie zu meiner
Zeit als EZB-Präsident - und das ist nicht vollkommen falsch»,
gesteht der weißhaarige Franzose, der am 20. Dezember seinen 75.
Geburtstag feiert, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Auch wenn er das Amt als oberster Währungshüter Europas vor
mittlerweile sechs Jahren abgab - die Expertise und das diplomatische
Geschick des überzeugten Europäers werden weltweit geschätzt. Und
Trichet macht sich zehn Jahre nach der jüngsten Finanzkrise keine
Illusionen: «Wir haben viel getan, um die Welt zu verbessern, aber
der Schatten dieser dramatischen Krise liegt noch immer über uns»,
sagte er kürzlich bei einer Konferenz in Frankfurt.

Im September 2008 schockte die Pleite der US-Investmentbank Lehman
Brothers die Finanzwelt. Mit Zinssenkungen und Milliardenspritzen für
Banken steuerten die führenden Notenbanken gegen. «In dieser
außerordentlich schwierigen Situation mussten Zentralbanken und
Regierungen außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um ein Drama zu
verhindern», betont Trichet, damals Präsident der Europäischen
Zentralbank (EZB/2003-2011), heute.

Doch so schnell lassen sich die Märkte nicht beruhigen, 2010 müssen
sich etliche Länder Europas eingestehen, über Jahre über ihre
Verhältnisse gelebt zu haben. Die Staatsverschuldung erreicht in
einigen Fällen bedrohliche Ausmaße. Aus Furcht, dass der Euroraum
auseinanderdriftet, bricht die EZB unter Trichets Ägide mit einem
Tabu: Die Notenbank kauft Anleihen von klammen Eurostaaten wie
Griechenland, um diesen Ländern unter die Arme zu greifen.

«Ich weiß, dass einige dieser Entscheidungen nicht unbedingt von
allen gutgeheißen wurden», sagte Trichet. «Aber ich bin überzeugt,

dass sie notwendig waren - insbesondere in Europa.» Der damalige
Bundesbank-Präsident Axel Weber stellte sich im Mai 2010 öffentlich
gegen die Anleihekäufe und warf wenig später hin.

Fast wäre es gar nicht so weit gekommen: Beinahe hätte ein
Finanzskandal um die frühere Staatsbank Crédit Lyonnais Trichets
Ambitionen vereitelt, zweiter Präsident der 1998 gegründeten EZB zu
werden. Ein lupenreiner Freispruch im Pariser Strafprozess um
gefälschte Bilanzen und Falschinformationen Mitte Juni 2003 machten
den Weg für den damaligen Chef der französischen Zentralbank frei.

Expertise hatte der in Lyon geborene Sohn eines Altphilologen zuvor
reichlich gesammelt. Trichet studiert zunächst Bergbauingenieurwesen
und anschließend an Frankreichs Kaderschmiede Ecole Nationale
d'Administration (ENA) Wirtschaftswissenschaften. Anfang der 1970er
Jahre beginnt Trichets Karriere im Finanzministerium in Paris, wo er
sich bis zum Posten des Staatssekretärs hocharbeitet. Im Herbst 1993
wechselt er an die Spitze der Banque de France.

Schon in dieser Position tritt der parteilose Währungshüter gegen
politischen Widerstand für stabile Preise und eine starke Währung ein
- und betont die Unabhängigkeit der Geldpolitik («Wir tun, was wir
für richtig halten.»). Wegen dieser Prinzipientreue wird Trichet in
seiner Heimat zeitweise als «Klon der Bundesbank» verspottet.

Zugleich jedoch würdigt ihn das Magazin «L'Express» einmal als
«kultiviertesten Beamten Frankreichs» - wegen seiner Begeisterung für

Literatur und Oper. «Früher habe ich selbst Gedichte geschrieben,
aber derzeit spiele ich nicht mit dem Gedanken, das wieder zu tun»,
schildert der Jubilar. «Was ich geschrieben habe, ist bisher nicht
veröffentlicht.»

Poesie und Musik spielen eine wichtige Rolle in Trichets Leben - wann
immer es sein gut gefüllter Terminkalender zulässt. Denn Trichet ist
unter anderem Mitglied im Verwaltungsrat des Flugzeugherstellers
Airbus und führt den Verwaltungsrat der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.

«Und ich habe mein zweites Zuhause in Saint Malo - eine wunderschöne
Stadt in der Bretagne, die ich sehr liebe», schwärmt Trichet. Auch an
die acht Jahre, die er mit seiner Frau in Frankfurt verbracht hat,
erinnert er sich gerne: «Ich bin beides: Ein Frankfurter und ein
Pariser.»

Gefeiert wird sein Geburtstag in der französischen Hauptstadt: «Ich
plane, mit meiner Familie zu feiern», sagt der Vater zweier Söhne und
fünffache Großvater. «Und da mein Geburtstag nahe an Weihnachten
liegt, habe ich eine gute Chance, mit ihnen in Paris zu feiern.»

Dass sein Geburtstag so nah an Weihnachten liegt, sei für ihn schon
als Kind kein Problem gewesen, versichert Trichet: «Für mich war das
immer der Start meiner persönlichen Festperiode. Aber mein Geburtstag
steht nicht im Wettbewerb zu Weihnachten!»