Asylstreit überschattet letzten EU-Gipfel des Jahres Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

13.12.2017 17:09

Ein Durchbruch beim Brexit und grünes Licht für die
Verteidigungsunion: Alles schien auf gutem Weg vor dem letzten
EU-Gipfel in diesem Jahr. Aber tiefe Risse sind nur mühsam zu kitten.

Brüssel/Straßburg (dpa) - Vor dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr
ist der Streit über die Asylpolitik in Europa wieder voll entbrannt.
EU-Kommission und Europaparlamentarier übten am Mittwoch heftige
Kritik an Gipfelchef Donald Tusk, der die Pflicht aller EU-Staaten
zur Aufnahme von Flüchtlingen infrage gestellt hatte. Der Zwist trübt
die Stimmung vor dem zweitägigen Treffen, bei dem Kanzlerin Angela
Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs eigentlich die
Fortschritte bei der Verteidigungsunion und beim Brexit feiern
wollen.

Es ist der letzte Gipfel eines Jahres, in dem sich die EU nach den
Anfeindungen durch Populisten und dem Rückschlag des Brexit wieder
zusammengerauft hat. Eine Debatte über die Zukunft Eurozone am
Freitag soll zeigen, dass man gemeinsam Reformen angehen will. Der
Start einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit bei Verteidigung
und Beschlüsse zur sozialeren Ausrichtung Europas stehen dafür, dass
man bei einst sehr umstrittenen Themen zusammenrückt.

Doch zeigt der Streit über die Flüchtlingspolitik, dass tiefe Risse
zwischen den 28 Staaten nur schwach gekittet sind. In einer
Grundsatzdebatte am Donnerstagabend sollen die Staats- und
Regierungschefs einen Ausweg aus der politischen Sackgasse suchen.

Ausgangspunkt ist die Entscheidung auf dem Höhepunkt der
Flüchtlingskrise 2015, die Ankunftsstaaten Italien und Griechenland
zu entlasten und Asylbewerber nach Pflichtquoten auf andere EU-Länder
zu verteilen. Osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien
verweigern sich bis heute.

Vor diesem Hintergrund schrieb der aus Polen stammende Ratspräsident
Tusk in einem Papier für den Gipfel, die Pflichtquoten hätten sich
als äußerst spalterisch und zudem wirkungslos erwiesen. Im Übrigen
könnten nur die Mitgliedstaaten selbst die Migrationskrise angehen
und die EU könne sie bestenfalls dabei unterstützen.

Obwohl Tusk das Papier später abschwächte, bekam er heftigen
Gegenwind. Nicht nur die EU-Kommission, sondern auch Deutschland und
andere Länder halten eine Umverteilung für unverzichtbar - zumindest
in Krisenzeiten wie 2015, als Hunderttausende nach Europa kamen.

Aus der Bundesregierung hieß es, man teile die Auffassung Tusks
nicht. «Wir finden, dass das eine gesamteuropäische Aufgabe ist»,
hieß es aus Regierungskreisen. «Wir brauchen ein System, in dem sich
alle wiederfinden.» Man sei trotz des Streits zuversichtlich, dass
bis Mitte 2018 eine Lösung möglich sei - nötigenfalls mit
qualifizierter Mehrheit, also ohne Zustimmung der
Umverteilungsgegner.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, äußerte im
Europaparlament offene Kritik. «Entweder wir finden eine europäische
Lösung für die Herausforderung durch Migration, oder es wird keine
Lösung geben», sagte er. «Jeder einzelne Mitgliedstaat muss seinen
Teil beitragen.»

Der Liberalen-Fraktionschef Guy Verhofstadt sagte: «Ich war total
geschockt von Tusks Papier.» Dieser untergrabe europäische Politik.
Auch Grünen-Fraktionschefin Ska Keller meinte: «Es ist inakzeptabel,
dass er Neinsagern wie Polen, Ungarn und Tschechien den Rücken
stärkt.»

Weitgehend geschlossen zeigt sich die EU bisher in den Verhandlungen
über den EU-Austritt Großbritanniens, für die der Gipfel am Freitag
die zweite Phase einläuten soll. Grundlage ist ein Durchbruch
vergangene Woche. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die
britische Premierministerin Theresa May hatten erste Ergebnisse bei
wichtigen Trennungsfragen in einem gemeinsamen Papier
festgeschrieben.

Nach kritischen Äußerungen aus London mahnte EU-Chefunterhändler
Michel Barnier die britische Regierung, diese Ergebnisse nun nicht
mehr infrage zu stellen: «Diese Fortschritte sind jetzt registriert»,
sagte er im Parlament. «Sie müssen dann Niederschlag finden in einem
rechtlich verbindlichen Austrittsabkommen.»

Zahlreiche EU-Abgeordnete drängten Barnier erneut, vor allem die
künftigen Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und
eine offene Grenze in Irland zu wahren. Gleichzeitig würdigten sie
den Verhandlungserfolg: «Viele sagen, Europa sei sehr schwach», sagte
der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Gianni Pittella. «Aber Europa
hat sich hier wieder als eine Union erwiesen, die ihre Bürger
schützt.»