EU-Gipfel: Von Lichtblicken und harten Nüssen im Advent Von Ansgar Haase, Alkimos Sartoros und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

14.12.2017 06:00

Asyl, Eurozone, Verteidigungsunion, Brexit: Beim letzten Gipfel des
Jahres haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen
einige Großthemen vorgenommen.

Brüssel (dpa) - Fast schon herrschte vorweihnachtliche Harmonie. Die
erste Etappe der Brexit-Verhandlungen geschafft, die lange höchst
umstrittene Verteidigungsunion endlich am Start - eigentlich wollte
sich die Europäische Union beim Gipfel am Donnerstag und Freitag in
Brüssel selber feiern. Aber dann störten Misstöne die traute
Adventsstimmung und erinnerten daran, dass die 28 EU-Mitgliedsländer
oft eben keineswegs auf einer Linie sind. Ein Überblick über die
wichtigsten Gipfel-Themen:

BÜRGER IM SINN? EINE SOZIALERE EU

Zum Einstieg gönnen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die
übrigen Staats- und Regierungschefs ein wohliges Thema: Vor einem
Monat beschlossen die EU-Länder in Göteborg - damals übrigens ohne
Merkel - eine sozialere Ausrichtung der EU mit fairen Löhnen,
besseren Renten, mehr Schutz für Arbeitnehmer. Jetzt sollen diese
Ziele bekräftigt werden. Auch Bildung und Kultur will man symbolisch
zu Topthemen erklären und zum Beispiel mehr Jugendaustausch, mehr
Fremdsprachenunterricht und einen europäischen Studentenausweis
propagieren.

ANLASS ZUM FEIERN: DER «PESCO-MOMENT»

Kein politisches Großprojekt ist in den vergangenen Monaten so
schnell vorangekommen wie die europäische Verteidigungsunion. Die
Staats- und Regierungschefs der 25 beteiligten Staaten wollen das am
Rande des Gipfels mit einem ersten «Pesco-Familienfoto» feiern. Die
Abkürzung «Pesco» steht für «Ständige Strukturierte Zusammenarb
eit»
(Englisch: «Permanent Structured Cooperation») und damit für das
System, das die Grundlage der Verteidigungsunion bilden soll.
Langfristig will sich die EU in Sicherheitsfragen unabhängiger von
den USA machen.

DIE HEISSE KARTOFFEL: DER ASYLSTREIT

Kaum ein Thema entzweit die EU so wie der Streit über das Asylsystem.
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 beschloss eine Mehrheit
der EU-Staaten gegen den Widerstand mehrerer östlicher Länder ein
verpflichtendes Umverteilungssystem für Asylbewerber. Ziel war, die
Ankunftsländer Italien und Griechenland zu entlasten. Doch bis heute
verweigern sich Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien dem
Mehrheitsbeschluss. Der Grundsatzstreit blockiert seit Monaten jeden
Ansatz, die EU-Asylregeln - das sogenannte Dublin-System - zu
reformieren.

Beim Abendessen will EU-Ratspräsident Donald Tusk in einer offenen
Diskussion der Staats- und Regierungschefs ausloten, was man bis
Mitte 2018 doch noch gemeinsam zuwege bringen kann. Allerdings hat
sich Tusk vor dem Gipfel in die Nesseln gesetzt. Im Entwurf eines
Papiers zur Vorbereitung legte er das System der Umverteilung quasi
zu den Akten, weil sich ohnehin kein Konsens darüber finde. Das
weckte heftigen Widerspruch, unter anderem aus Deutschland. Tusk
schwächte sein Papier ab, aber der Streit bleibt.

EINHEIT UND STÄRKE? DIE RUSSLAND-SANKTIONEN

Ebenfalls beim Abendessen nehmen sich die Staats- und Regierungschefs
zwei weitere schwere Brocken vor: Gibt es Fortschritte bei der
Umsetzung des Minsker Friedensabkommens für den Ukraine-Konflikt? Zu
dieser Frage wollen Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
eine Einschätzung abgeben. Am Ende wird aller Voraussicht nach die
Entscheidung der EU-Staaten stehen, die Wirtschaftssanktionen gegen
Russland um weitere sechs Monate zu verlängern. Dies soll den
russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bewegen, seinen Einfluss
auf die prorussischen Separatisten in der Ostukraine zur Beilegung
des Konfliktes zu nutzen. Außerdem haben einige EU-Staaten die
Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump auf die Agenda
gesetzt.

WARTEN AUF DEUTSCHLAND: REFORM DER EUROZONE

In einem ähnlichen Format wie die Asylfrage will Tusk am
Freitagmorgen beim Frühstück dann die geplanten Reformen der Eurozone
debattieren lassen: ergebnisoffen und ohne sofortige
Schlussfolgerungen. Auf dem Tisch liegen etliche Vorschläge, um die
Gemeinschaftswährung zu stärken - vom europäischen Finanzminister,
über zusätzliche Geldtöpfe für Krisenfälle und den Ausbau des
Eurorettungsschirms ESM zum Europäischen Währungsfonds. Tusk will
kleinere, konkrete Ziele setzen, darunter die Vollendung der
sogenannten Bankenunion. Zur Debatte steht dabei auch ein gemeinsames
Sicherungssystem für Sparguthaben, das aber unter anderem in
Deutschland auf Widerstand trifft. Apropos Deutschland: Bevor in
Berlin nicht eine neue Regierung steht, dürfte ohnehin nichts
entschieden werden.

BREXIT - AUF ZUR NÄCHSTEN ETAPPE

Der letzte Programmpunkt des Gipfels am Freitag dürfte zugleich die
konkretesten Ergebnisse bringen: Die 27 bleibenden EU-Staaten
bewerten, ob es in den bisherigen Verhandlungen über den Austritt
Großbritanniens ausreichenden Fortschritt gegeben hat. Nach dem
ersten Durchbruch mit konkreten Ergebnissen vorige Woche zweifelt
daran in Brüssel niemand mehr. Also dürften die Staaten das
Startsignal für die zweite Verhandlungsphase geben. Dann soll es um
eine Übergangszeit und die künftige Partnerschaft der EU mit
Großbritannien nach dem Brexit 2019 gehen.