Plan B für wohlhabende Türken: «Goldenes Visum» für die EU Von Can Merey, dpa

28.12.2017 09:40

Nicht alle Türken glauben den Aussagen ihrer Regierung, dass sich ihr
Land in die richtige Richtung entwickelt. Wer das Geld dafür hat,
kann sich und seiner Familie einen Notausgang in die EU offenhalten:
mit «goldenen Visa» als Versicherung für den Fall der Fälle.

Istanbul (dpa) - Aus Sicht von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist die
Türkei auf einem guten Weg. Nicht jeder Türke teilt diese Meinung
allerdings, Kritiker treibt die Sorge um die politische und
wirtschaftliche Zukunft des Landes um. Eine kleine, aber wachsende
Zahl wohlhabender Türken geht daher auf Nummer sicher - und besorgt
sich und der Familie eine Aufenthaltsgenehmigung eines EU-Landes.
Möglich machen das «Golden Visa»-Investitionsprogramme wie das von
Griechenland, das wiederum das Geschäftsmodell von Panos Rozakis ist.

Rozakis ist Geschäftsführer von «Greek Residency», einer Firma, die

«goldene Visa» vermittelt. Das staatliche Programm, das Investoren
nach Griechenland locken soll, funktioniert so: Wer mindestens
250 000 Euro etwa durch den Kauf einer Wohnung in Athen investiert,
erhält «ab dem ersten Tag» eine griechische Aufenthaltsgenehmigung -

und zwar für sich, den Ehepartner, Kinder bis zum Alter von 21
Jahren, die Eltern und noch dazu die Schwiegereltern. Ausdrücklich
nicht nötig ist es, sich tatsächlich in Griechenland aufzuhalten, was
aber auch gar nicht unbedingt die Absicht von Rozakis Kunden ist.

Viel wichtiger sind die Vorteile in der EU, die die Familie mit der
Investition erwirbt: Nämlich das Recht auf visafreies Reisen im
Schengen-Raum, der neben Griechenland und Deutschland 24 weitere
Staaten umfasst. Griechenland ist nicht das einzige «Golden
Visa»-Land in der EU, wohl aber das günstigste. Portugal
beispielsweise hat ein ähnliches Programm, allerdings mit einer
Mindest-Investitionssumme von 500 000 Euro. Das EU-Mitglied Zypern
bietet Investoren gleich die Staatsangehörigkeit an, die dafür dann
aber zwei Millionen Euro auf den Tisch blättern müssen.

Rozakis Firma erledigt den Papierkram mit den griechischen Behörden,
vermittelt eine Immobilie und kümmert sich - wenn gewünscht - um
deren Vermietung und Instandhaltung. Er und seine Kollegen sind im
Dezember erstmals für eine viertägige Informationsveranstaltung nach
Istanbul gekommen. Der Grund: Die starke Nachfrage von Türken, die
seit dem Putschversuch vom Juli 2016 und dem Ausnahmezustand stetig
zunehme. «Wir haben ein Treffen nach dem nächsten», sagt der Manager.

«Wir haben kaum Zeit, zu essen oder auf die Toilette zu gehen.»

Das «Golden Visa»-Programm Griechenlands gibt es seit 2013. Vor dem
Sommer 2016 sei das Interesse aus der Türkei marginal gewesen, sagt
Rozakis. Zwar kämen die meisten Investoren weiterhin aus China und
Russland. In dem zu Ende gehenden Jahr hätten die Türken aber die
Ägypter vom dritten Platz der Investorenliste verdrängt. «Und es
sieht so aus, als wären die Türken auf dem Weg zur Spitze.»

Insgesamt - also nicht nur vermittelt durch Rozakis Firma - seien in
diesem Jahr bis November bereits 170 türkischen Investoren und dessen
Familien Aufenthaltsgenehmigungen in Griechenland erteilt worden,
sagt der Manager. 2016 seien es 30 gewesen. Die griechischen Behörden
veröffentlichen keine Statistiken zum «Golden Visa»-Programm, die von

Rozakis genannten Zahlen kursieren aber auch in griechischen Medien.

Seit dem Putschversuch und den von Erdogan ausgerufenen «Säuberungen»

verlassen immer mehr Türken ihr Heimatland Richtung EU - oder denken
zumindest darüber nach. Zahlen gibt es nicht, wohl aber Indizien: So
haben seit Sommer 2016 nach Angaben der Bundesregierung mehr als 760
Türken mit Diplomaten- oder Dienstpässen Asyl in Deutschland
beantragt. In Griechenland baten Mitte Dezember 33 Türken um Asyl,
die per Boot übergesetzt waren. Nach Angaben der griechischen Polizei
handelte es sich unter anderem um Ärzte, Lehrer und Studenten.

Obwohl das Goethe-Institut in Istanbul sein Angebot ausgeweitet hat,
sind die Deutschkurse stets voll. Viele Kursteilnehmer sagen, sie
wollten die Sprache lernen, um auszuwandern. Dem Oppositionspolitiker
Ali Türksen aus dem Vorstand der neuen Iyi-Partei bereitet das Sorge.
«Viele Menschen versuchen heute, alles zu verkaufen, um wegzugehen»,
sagt er. «Wenn wir ein gutes Bildungssystem hätten, ein gutes
politisches System, ein gutes Wirtschaftssystem und wenn wir gute
internationale Beziehungen hätten, dann, so können Sie sich
vorstellen, würde niemand in ein anderes Land gehen wollen.»

Rozakis Klientel - die nicht nur aus der Türkei stammt - plant die
Investition in der Regel als Versicherung für den Fall der Fälle.
Deswegen wandern seine Kunden nach Vertragsabschluss in der Regel
auch nicht aus, sondern verharren in der Heimat, während ein Teil der
Ersparnisse schon einmal in Europa angelegt ist. Zur Not kann die
Familie in den nächsten Flieger steigen, der in Richtung EU abhebt.
Aus Sicht von Türken ist Griechenland nicht nur geografisch
naheliegend: Auch Klima und Küche im Nachbarland sind ähnlich.

Seine Kunden fielen in zwei Kategorien, sagt Rozakis. «Erstens
Menschen, die einen sicheren und schnellen Ausweg wollen, falls in
ihrem Land etwas schiefgeht.» Die zweite Gruppe seien Vielreisende,
die darunter litten, dass es schwieriger werde, Schengen-Visa zu
erhalten. Die meisten türkischen Kunden gehörten zur ersten
Kategorie. Sie seien typischerweise aus der «oberen Mittelklasse,
Menschen mit einer guten Ausbildung» - und keine Anhänger Erdogans.

Während die Regierung in Ankara die Abwanderung von Kritikern kaum
bedauern dürfte, so ist ihr der Abfluss von Devisen ein Dorn im Auge.
Erst kürzlich rief Erdogan seine Regierung dazu auf, Schritte gegen
Geschäftsleute zu unternehmen, die Gewinne ins Ausland schleusten und
so «Verrat am Vaterland» begingen. Danach ruderte der Präsident zwar

zurück und bekräftigte, er plane keine Kapitalverkehrskontrollen.
Rozakis sagt, bei seinen Kunden hätten die Aussagen dennoch Sorgen
ausgelöst. Für das «Golden Visa»-Geschäft ist das vermutlich nich
t
schlecht: Sorgen gehören schließlich zu dessen Triebfedern.