Cavusoglu: Türkei will Beziehungen zu Deutschland normalisieren

01.01.2018 17:30

2017 war das Jahr der Krise mit der Türkei. Außenminister Cavusoglu
sieht nun auf beiden Seiten Bereitschaft, die Beziehungen zu kitten,
auch wenn der größte Streitpunkt nicht ausgeräumt ist. Zugleich warnt

er Deutschland vor Drohungen - dann «wird die Türkei zurückschlagen
».

Ankara (dpa) - Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu rechnet
im neuen Jahr mit einer deutlichen Entspannung im Streit mit
Deutschland und will noch im Januar in die Bundesrepublik reisen.
«Ich denke, dass beide Seiten bereit dazu sind, die Beziehungen zu
normalisieren», sagte Cavusoglu der Deutschen Presse-Agentur in
Ankara. «Ich erwarte also ein viel besseres Jahr 2018.»

Cavusoglu lobte besonders den «guten Dialog» mit seinem deutschen
Amtskollegen Sigmar Gabriel, der ihn für Januar in dessen Heimatort
Goslar eingeladen habe. Gabriel sei ein «persönlicher Freund», mit
dem er deswegen aber nicht immer einer Meinung sein müsse.

Der türkische Minister warnte die Bundesrepublik allerdings zugleich
vor Drohungen gegen sein Land. «Wenn Deutschland sich einen Schritt
auf uns zubewegt, geht die Türkei zwei Schritte auf Deutschland zu.
Das ist keine Schwäche, das kommt von Herzen. Aber wenn Deutschland
die Türkei bedroht, wird die Türkei zurückschlagen.»

Weiterhin ist der größte Streitpunkt zwischen Deutschland und der
Türkei die seit mehr als zehn Monaten andauernde Untersuchungshaft
des «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel. «Auch ich bin nicht sehr
glücklich darüber, dass es noch immer keine Anklage gibt», sagte
Cavusoglu. «Aber wir können die Justiz nur dazu ermutigen, den
Prozess zu beschleunigen. Das haben wir bereits getan.» Die Vorwürfe
gegen Yücel seien «sehr ernst». Die Ermittlungen in dem komplexen
Fall dauerten noch an. «Aber das ist nichts Persönliches.»

Yücel sitzt seit Februar wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft
und hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in
Straßburg Beschwerde eingelegt. Cavusoglu sagte auf die Frage, ob die
Türkei Yücel freilassen würde, sollte der EGMR eine solche
Entscheidung fällen: «Das liegt natürlich an der Justiz, aber wir
haben die Entscheidungen des Gerichts in Straßburg immer umgesetzt.»
Er erwarte daher «natürlich» auch eine Umsetzung im Fall Yücel.

Die Bundesregierung fordert die Freilassung Yücels und anderer
Deutscher, weil diese aus Sicht Berlins aus politischen Gründen in
der Türkei inhaftiert sind. Cavusoglu wies das zurück.

«Wir haben der deutschen Regierung gesagt, dass das nicht wahr ist»,
betonte er. «Warum sollten wir diese Menschen ins Gefängnis stecken?
Um etwas von Deutschland zu bekommen? Nein.» Dass Bundesaußenminister
Gabriel in dem Zusammenhang von «Geiseln» gesprochen hatte, sei
«falsche, populistische Terminologie vor einer Wahl» gewesen.

Cavusoglu kritisierte die Bedeutung, die dem Fall Yücel in
Deutschland beigemessen wird. «Wer auch immer in der Türkei
inhaftiert wird oder dort Probleme hat, wird in Deutschland zum
Helden. Warum? Ist Deutschland der größte Verteidiger der
Menschenrechte in der Welt? Nein. Ich kann Ihnen Tausende Beispiele
von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geben.»

Cavusoglu sagte, aus Sicht Ankaras gebe es keine Krise mit Berlin.
«Die Türkei hat kein Problem mit Deutschland. Aber Deutschland hat
ein Problem mit der Türkei, und Deutschland lässt keine Gelegenheit
aus, die Türkei anzugreifen.» Seine Regierung erwarte von
Deutschland, «die Türkei als gleichwertigen Partner zu betrachten».


Cavusoglu sagte, die von ihm und Präsident Recep Tayyip Erdogan im
Frühjahr angestellten Nazi-Vergleiche wegen der Auftrittsverbote für
türkische Regierungsvertreter in Deutschland und anderen EU-Staaten
bereue er nicht. «Was an diesen Tagen geschehen ist, erinnerte uns an
das, was während der Nazi-Zeit geschah. Vielleicht ist es nicht
einmal während der Nazi-Zeit geschehen. Ich glaube nicht, dass das
Nazi-Regime solche Besuche oder Veranstaltungen stoppte.»

Gabriel hat kürzlich vorgeschlagen, eine mögliche Brexit-Vereinbarung
könnte Vorbild für eine EU-Vereinbarung mit der Türkei statt einer
Mitgliedschaft sein. Cavusoglu betonte, die Türkei strebe weiter eine
Vollmitgliedschaft an.

«Es gibt nur wenige Länder wie Deutschland, Österreich und neuerdings

Dänemark, die gegen unsere Mitgliedschaft sind», sagte er. «Wenn die

EU entscheidet, dass sie die Türkei nicht aufnimmt, dann ist das
Sache der EU. Aber ich sehe viele Länder, die immer noch für eine
EU-Mitgliedschaft der Türkei sind.»

Warnungen, in der Türkei sei die Demokratie in Gefahr, wies der
Minister als unbegründet zurück. Er räumte aber ein, dass der
Putschversuch und das anschließende Durchgreifen des Staates im
Ausnahmezustand «das Bild der Türkei beschädigt» hätten.

Der Ausnahmezustand richte sich aber nur gegen Terrororganisationen.
«Sie können die Türkei nicht wegen des Ausnahmezustands als Diktatur

bezeichnen. Die Türkei hält demokratische und faire Wahlen ab, besser
als viele andere europäische Länder.»

Auch Erdogan hatte sich kürzlich optimistisch über eine Verbesserung
des Verhältnisses zu Deutschland geäußert. Gabriel hatte Cavusoglu im

November in dessen Wahlkreis in Antalya besucht. Cavusoglu sagte, an
einem konkreten Termin für seinen im Januar geplanten Besuch bei
Gabriel in Goslar werde noch gearbeitet.

Grünen-Parteichef Cem Özdemir wertet die Entspannungssignale nicht
als Zeichen einer politischen Neuausrichtung der Türkei, sondern als
Zeichen der wirtschaftlichen Not des Landes. «Das Gerede über die
angebliche unabhängige türkische Justiz kann sich der türkische
Außenminister sparen und gleich zur Sache kommen: Dem türkischen
Staat geht es wirtschaftlich schlecht, und das Land braucht dringend
deutsche Touristen und deutsche Investitionen, um das in die
politische und wirtschaftliche Isolation manövrierte Land auf die
nächsten Präsidentschaftswahlen vorzubereiten», sagte Özdemir der
«Berliner Zeitung» (Dienstag).