Cavusoglu: Erwarte «viel besseres Jahr» in Beziehungen zu Deutschland Interview: Can Merey und Shabtai Gold, dpa

01.01.2018 13:21

Außenminister Cavusoglu ist bereit, auf Deutschland zuzugehen - auch
wenn er die Türkei für unschuldig an der Krise hält. Nazi-Vergleiche

vom Frühjahr hält er auch rückblickend für zutreffend. Er fragt sic
h,
warum Gefangene wie Deniz Yücel in Deutschland zu «Helden» werden.

Ankara (dpa) - Kaum ein Streit hat die Nachrichten in Deutschland im
abgelaufenen Jahr so dominiert wie der mit der Türkei und mit
Präsident Recep Tayyip Erdogan. Auf Auftrittsverbote folgten
Nazi-Vergleiche der türkischen Seite. Nachdem Deutsche wie der
«Welt»-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei inhaftiert wurden,
verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für das beliebte
Urlaubsland - und die Türkei konterte mit einer Reisewarnung für
Deutschland. In den vergangenen Wochen ist allerdings leichtes
Tauwetter zu spüren. Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärt im
dpa-Interview, wie er die Aussichten für 2018 einschätzt.

Frage: Herr Minister, seit dem Amtsantritt Ihrer AKP vor 15 Jahren
waren die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland nie
schlechter als im abgelaufenen Jahr. Was erwarten Sie 2018?

Antwort: Die ersten drei Quartale 2017 waren nicht sehr gut, aber wir
haben seitdem Fortschritte gemacht. Besonders mit Außenminister
Sigmar Gabriel haben wir einen guten Dialog. Ich denke, dass beide
Seiten bereit dazu sind, die Beziehungen zu normalisieren. Ich
erwarte also ein viel besseres Jahr 2018.

Frage: Auch Präsident Erdogan hat sich kürzlich positiv geäußert.
Liegt der schlimmste Teil der Krise hinter uns?

Antwort: Von unserer Seite aus sehen wir keine Krise. Die Türkei hat
kein Problem mit Deutschland. Aber Deutschland hat ein Problem mit
der Türkei, und Deutschland lässt keine Gelegenheit aus, die Türkei
anzugreifen. Es gibt außerdem einen sehr gefährlichen Trend zu
Türkei- und Erdogan-Bashing in Deutschland, was nicht sehr hilfreich
ist. Ich glaube nicht, dass es den Präsidenten stört, aber es
beeinträchtigt die bilateralen Beziehungen. Es schürt auf beiden
Seiten Hass. Warum sollte ich ein Problem mit Deutschland haben? Ich
warte immer noch auf eine ehrliche Antwort auf meine Frage, warum
Deutschland ein Problem mit der Türkei hat.

Frage: Ein Grund ist die Inhaftierung von Deutschen in der Türkei.
Seit Ende Oktober haben türkische Gerichte mehrere Deutsche aus der
Haft entlassen oder deren Ausreisesperren aufgehoben. War das Zufall
oder Teil einer Regierungsstrategie, um die Spannungen abzuschwächen?


Antwort: Als Regierung können wir die Justiz nur darum bitten, den
Prozess zu beschleunigen. Letztlich trifft die unabhängige Justiz die
Entscheidung. Schauen Sie, in Deutschland sitzen 2000 Türken im
Gefängnis. Hat die Türkei deswegen Probleme in den Beziehungen
gemacht?

Frage: Die Bundesregierung fordert die Freilassung von Deutschen, die
aus ihrer Sicht aus politischen Gründen inhaftiert sind.

Antwort: Wir haben der deutschen Regierung gesagt, dass das nicht
wahr ist. Warum sollten wir diese Menschen ins Gefängnis stecken? Um
etwas von Deutschland zu bekommen? Nein.

Frage: Sigmar Gabriel sprach von Geiseln.

Antwort: Das war falsche, populistische Terminologie vor einer Wahl.
Ich bin sicher, dass er verstanden hat, dass er einen Fehler gemacht
hat.

Frage: Sie nennen Sigmar Gabriel dennoch einen Freund?

Antwort: Er ist ein guter Freund von mir, ein persönlicher Freund,
aber wir müssen nicht überall einer Meinung sein.

Frage: Den größten Streit gibt es im Fall des «Welt»-Korrespondente
n
Deniz Yücel, der seit mehr als zehn Monaten wegen Terrorvorwürfen in
Untersuchungshaft sitzt und dagegen beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Beschwerde eingelegt hat. Ihre
Regierung hat dazu im November beim EGMR ihre Stellungnahme dazu
abgegeben. Warum gibt es immer noch keine Anklage?

Antwort: Auch ich bin nicht sehr glücklich darüber, dass es noch
immer keine Anklage gibt. Aber wir können die Justiz nur dazu
ermutigen, den Prozess zu beschleunigen. Das haben wir bereits getan.
Aber sie sagen uns, dass es eine sehr komplexe Situation ist und dass
die Ermittlungen noch andauern. Deswegen dauert es einige Zeit. Aber
das ist nichts Persönliches.

Die Vorwürfe gegen Deniz Yücel sind sehr ernst. Er war seit 2015
nicht in der Türkei als Journalist akkreditiert. Er wurde also auch
nicht wegen Journalismus inhaftiert, weil er ohnehin nicht
akkreditiert war. Aber wer auch immer in der Türkei inhaftiert wird
oder dort Probleme hat, wird in Deutschland zum Helden. Warum? Ist
Deutschland der größte Verteidiger der Menschenrechte in der Welt?
Nein. Ich kann Ihnen Tausende Beispiele von
Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geben.

Frage: Sollte der EGMR entscheiden, dass Deniz Yücel aus der U-Haft
entlassen werden muss, würde die Türkei diese Entscheidung dann
umsetzen?

Antwort: Das liegt natürlich an der Justiz, aber wir haben die
Entscheidungen des Gerichts in Straßburg immer umgesetzt.

Frage: Sie würden also auch in diesem Fall eine Umsetzung erwarten?

Antwort: Natürlich.

Frage: Präsident Erdogan und Sie haben wiederholt Rassismus und
anti-türkische Gefühle in Deutschland kritisiert. Ihr Ministerium hat
sogar eine Reisewarnung erlassen...

Antwort: ...nach einer Reisewarnung Deutschlands für die Türkei! Die
rassistische Partei hat 13 Prozent der Stimmen gewonnen. Rassismus,
Diskriminierung und Intoleranz nehmen in Deutschland zu. Sie haben
das bei der letzten Wahl gesehen.

Frage: Halten Sie Ihre Reisewarnung aufrecht? Sagen Sie weiterhin,
dass Deutschland für Türken gefährlich ist?

Antwort: Das ist eine schwierige Frage. Man kann die Türkei nicht
durch Reisewarnungen bestrafen. Ich musste diese Reisewarnung
erwidern. Nicht weil mir das gefällt, aber weil es die Erwartung
meiner Bürger war. Deutschland sollte verstehen: Wenn Deutschland
sich einen Schritt auf uns zubewegt, geht die Türkei zwei Schritte
auf Deutschland zu. Das ist keine Schwäche, das kommt von Herzen.
Aber wenn Deutschland die Türkei bedroht, wird die Türkei
zurückschlagen.

Frage: Welche Schritte erwarten Sie von Deutschland?

Antwort: Deutschland sollte kein sicherer Zufluchtsort sein für
Unterstützer von Fetö [der Gülen-Bewegung] und der [verbotenen
kurdischen Arbeiterpartei] PKK. Schauen Sie, was bei der letzten
Demonstration geschehen ist. Die deutsche Polizei hat versucht,
PKK-Unterstützer zu stoppen, und sie haben die Polizei brutal
angegriffen. Wenn die Polizei noch ein paar Mal versucht, sie zu
stoppen, werden Sie sehen, was sie in Deutschland machen. Das ist
eine Terrororganisation. Das ist eine Schlange. Sie können nicht mit
der Schlange im selben Zimmer schlafen. Heute oder morgen wird sie
Sie beißen.

Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Und wir erwarten von
Deutschland, die Türkei als gleichwertigen Partner zu betrachten.

Frage: Wie bewerten Sie die deutsche Haltung gegenüber der
Gülen-Bewegung, die Ihre Regierung für den Putschversuch vom Juli
2016 verantwortlich macht? Im März sagte der Präsident des
Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, in einem
«Spiegel»-Interview: «Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigun
g
für religiöse und säkulare Weiterbildung.»

Antwort: Das ist Gülen-Propaganda. Das ist wirklich Unsinn und nicht
hinnehmbar. Diese Institution [der BND] weiß, dass Fetö tatsächlich
für den gescheiterten Putsch verantwortlich ist. Sie haben die
Beweise.

Frage: Im Frühjahr haben Sie und Präsident Erdogan Verbote für
Wahlkampfauftritte in Deutschland und anderen EU-Staaten mit
«Nazi-Methoden» verglichen. Bereuen Sie diese Vergleiche?

Antwort: Nein! Ich bereue sie nicht. Was an diesen Tagen geschehen
ist, erinnerte uns an das, was während der Nazi-Zeit geschah.
Vielleicht ist es nicht einmal während der Nazi-Zeit geschehen. Ich
glaube nicht, dass das Nazi-Regime solche Besuche oder
Veranstaltungen stoppte.

Unser Ziel war nicht, uns in die Innenpolitik anderer Länder
einzumischen. Unsere Bürger leben in diesen Ländern. Und wir haben
Wahlkampf für das wichtigste Referendum in der Geschichte der
Republik gemacht. Einige europäische Länder, darunter Deutschland,
haben in unserem Referendum Partei ergriffen. Sie stoppten uns,
während sie Politiker ermutigten, die sich für ein «Nein» einsetzte
n.
Das ist in keiner demokratischen Gesellschaft akzeptabel.

Frage: Die Bundesregierung hat im Juni eine Bestimmung erlassen, nach
der Auftritte von ausländischen Regierungsvertretern aus
Nicht-EU-Staaten vor Landsleuten vorab genehmigt werden müssen und
Wahlkampfauftritte solcher Regierungsvertreter grundsätzlich verboten
sind. Wird Präsident Erdogan noch zu Türken in Deutschland sprechen,
wie er es in der Vergangenheit gemacht hat?

Antwort: Ich weiß es nicht. Das müssen Sie den Präsidenten fragen.
Aber das ist sehr undemokratisch.

Frage: Wann steht Ihre nächste Reise nach Deutschland an?

Antwort: Ich werde Gabriel im Januar in seiner Heimatstadt Goslar
besuchen. Er hat mich eingeladen. Wir arbeiten noch an einem Termin,
aber es wird bald sein.

Fragen: Gabriel hat kürzlich in einem Interview der
Funke-Mediengruppe vorgeschlagen, eine mögliche Brexit-Vereinbarung
könnte ein Vorbild für eine Vereinbarung der EU mit der Türkei statt

einer Mitgliedschaft sein. Wäre das für die Türkei akzeptabel?

Antwort: Wir haben Verhandlungen für eine Vollmitgliedschaft
begonnen. Wenn die EU entscheidet, dass sie die Türkei nicht
aufnimmt, dann ist das Sache der EU. Aber ich sehe viele Länder, die
immer noch für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei sind. Es gibt nur
wenige Länder wie Deutschland, Österreich und neuerdings Dänemark,
die gegen unsere Mitgliedschaft sind.

Frage: Als Gabriel sich im April für eine Fortsetzung der
Beitrittsgespräche einsetzte, warnte er davor, Europa könne kein
Interesse darin haben, dass die Türkei in Richtung Russland geschoben
werde. Könnte eine Allianz mit Russland oder möglicherweise anderen
Staaten für die Türkei eine Alternative zur EU sein?

Antwort: Die Türkei betrachtet kein Land und keine Institution als
Alternative. Also ist Russland keine Alternative zum Westen.

Frage: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im September
gesagt, dass er in absehbarer Zeit keine Mitgliedschaft sieht, weil
die Türkei sich entferne von Rechtsstaatlichkeit. Die Opposition
warnt vor einer Diktatur. Ist die Demokratie in der Türkei in Gefahr?


Antwort: Überhaupt nicht. Demokratie ist so wichtig für das türkische

Volk. In den vergangenen 15 Jahren haben wir gewaltige Erfolge gehabt
und Fortschritte gemacht. Ist bei uns alles hundert Prozent in
Ordnung? Nein. Der gescheiterte Putsch und der Kampf gegen diese
Fetö-Organisation haben das Bild der Türkei beschädigt. Ja, wir haben

den Ausnahmezustand, den wir nach dem Putsch ausrufen mussten. Aber
er zielt nur auf Terrororganisationen ab, er beschränkt nicht die
Rechte und Freiheiten Einzelner. Sie können die Türkei nicht wegen
des Ausnahmezustands als Diktatur bezeichnen. Die Türkei hält
demokratische und faire Wahlen ab, besser als viele andere
europäische Länder.

Wir durchlaufen die schwierigsten Jahre der Republik. Wir mussten
Maßnahmen ergreifen, um diese Bedrohung zu beseitigen. Wenn die Dinge
wieder normal sind, werden wir den Ausnahmezustand aufheben.
Natürlich werden wir zu Reformen zurückkehren.

Wenn Juncker Präsident Erdogan sieht, nennt er ihn seinen besten
Freund. Wenn wir uns treffen, ist alles gut. Ich würde gerne fragen,
zu welcher Tageszeit er diese Aussage getroffen hat, und aus welchem
Grund. Juncker ist auch ein persönlicher Freund von mir, aber er
ändert seine Meinung sogar am selben Tag.

ZUR PERSON: Mevlüt Cavusoglu (49) ist seit August 2014 Außenminister
der Türkei. Er ist ein Vertrauter von Präsident Erdogan und gehört
wie dieser zu den Gründungsmitgliedern der AKP. Cavusoglu hat enge
Verbindungen zu Europa: Von 2013 bis 2014 war er EU-Minister und
Chefunterhändler des Beitrittskandidaten. Zwischen 2010 und 2012 war
Cavusoglu zudem der erste türkische Abgeordnete, der zum Präsidenten
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) gewählt
wurde. 2014 wurde er zum PACE-Ehrenpräsidenten ernannt. Cavusoglu
stammt aus dem auch bei deutschen Touristen beliebten südtürkischen
Küstenort Alanya. Er ist verheiratet und hat ein Kind.