Autobauer stecken im Diesel-Dilemma - und ihre Kunden auch Von Thomas Strünkelnberg, dpa

15.02.2018 12:57

Am Diesel scheiden sich die Geister. Ist er der Klimaretter, der es
möglich macht, die CO2-Grenzwerte zu erreichen? Oder ist er ein übler
Luftverpester? Die Frage ist, ob E-Autos den Verbrenner ersetzen
können - und wann. Die Hersteller stecken in der Klemme.

Wolfsburg/Berlin (dpa) - Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn
man ein Auto mit Dieselmotor fährt? Tausende Todesfälle sollen auf
das Diesel-Konto gehen, Krankheiten der Atemwege und mit Stickoxiden
verpestete Innenstädte sowieso. Sind Fahrverbote in Städten also der
richtige Weg? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig könnte am 22.
Februar eine wichtige Entscheidung treffen und den Weg frei machen
für genau diese - rechtlich umstrittene - Maßnahme.

Dem Urteil bangen viele entgegen - die Autofahrer, deren gar nicht
mal so alte Wagen es dann treffen könnte; die Politik, die sich um
die Stickoxidbelastung lange nicht gekümmert hat; aber vor allem die
Autobauer, die immer mehr darum kämpfen müssen, die EU-Grenzwerte
gerade beim Klimagas CO2 zu erreichen. Aber geht das ohne Diesel?

Das ist das Dilemma, in dem die Hersteller stecken. Wollen sie den
Dieselmotor ersetzen, sind sie geradezu dazu verdammt, Elektroautos
so bald wie möglich zum Erfolg zu machen. Davon sind sie aber weit
entfernt. Selbst wenn es gelingt, verhindert der deutsche Strommix,
dass E-Autos auf Anhieb die erhofften Saubermänner sind.

Werden etwa CO2-Grenzwerte verfehlt, drohen Strafzahlungen - vom
erneuten Imageschaden ganz zu schweigen. Helfen könnte dabei der
Diesel, doch dessen Anteil an den Zulassungen sinkt seit langem. Der
Abgasskandal sowie immer neue Enthüllungen wie Abgastests an Affen
und der Verdacht auf Tests sogar mit Menschen belasten seinen Ruf
schwer. Und den der ganzen Branche - wieder einmal.

Doch ist das in diesem Fall berechtigt? Die Industrie sieht die
Diesel-Technik - wenig überraschend - in deutlich rosigerem Licht,
nämlich als klimaschonenden, CO2-armen Retter der Branche. Für
Matthias Wissmann, den scheidenden VDA-Präsidenten, ist E-Mobilität
die große Lösung, aber nicht die einzige. Der Verbrennungsmotor werde
noch gebraucht, auch der Diesel «in seiner modernsten Form», betont
er seit Monaten. Nur: Glauben die verunsicherten Kunden das noch?

«Totgesagte leben länger», sagt Thomas Koch, Leiter des Instituts f
ür
Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie. Alle Fragen
der Emissionen seien in den neuesten Ausbaustufen gelöst, der Diesel
werde noch lange bleiben. «So lange wir das Bedürfnis haben, das
Fahrzeug mehr als 100 Kilometer zu bewegen», sagt er mit Blick auf
die unter realen Bedingungen oft geringen Reichweiten der E-Autos.

Dieselmotoren seien die effizienteste Variante mit Vorteilen beim
CO2-Ausstoß, bei hohen Laufleistungen und der Reichweite. Partikel
und Stickoxide - an Stickoxiden und der Abschaltung der Reinigung
entbrannte 2015 der Abgasskandal - seien kein Thema mehr.

Zwiespältig sieht dies Branchenexperte Stephan Bratzel. Es gebe
inzwischen vergleichsweise saubere Diesel, aber diese seien teuer und
nicht in allen Segmenten sinnvoll. Beim CO2-Ausstoß seien Diesel
mittelfristig eine Alternative, doch der hohe Verbrauch der immer
zahlreicheren Stadtgeländewagen fresse den Diesel-Vorteil nahezu auf.
Wandern Kunden zum Benziner ab, verschärft sich das Problem.

Also doch kostenlos Bus und Bahn fahren, wie die Bundesregierung
erwägt? Was zunächst verlockend klingt, bringt ganz eigene Probleme.
Völlig unklar ist etwa die Finanzierung, sollten die Städte einen
kostenlosen Nahverkehr organisieren. Und: Dieser Nahverkehr müsste
massiv ausgebaut werden, mit modernen und umweltfreundlichen Bussen
und Bahnen. Das würde Jahre dauern.

Ist allein die E-Mobilität dann die Lösung? Koch fragt: «Warum soll
der Kunde mehr ausgeben für etwas, das weniger kann?» Bei ungünstigen

äußeren Bedingungen seien elektrisch oft nicht mehr als 120 Kilometer
Reichweite drin, das Laden sei umständlich. «Es ist ein Segment, aber
nicht die allein selig machende Technologie. Ich glaube nicht an die
Batterie als Technik der Zukunft.» Dazu kommt aus Bratzels Sicht,
dass die deutschen Hersteller erst ab 2020 in der Breite E-Autos
anbieten. Eine Lösung könnten günstigere Plug-in-Hybride sein.

Überhaupt, Hybride: Für Koch könnte der Diesel-Hybrid der nächste
große Trend werden. Bratzel wiederum beurteilt dies skeptisch, zwei
Antriebe kosteten doppelt Geld - und die Abgasreinigung sei teuer.
Seiner Meinung nach ist die Hochzeit des Diesels vorbei, in neue
Dieselgenerationen zu investieren sei nur noch im Ausnahmefall
sinnvoll. Selbst VW-Chef Matthias Müller regte erst unlängst an, die
Steuererleichterungen für den Diesel umzuschichten - hin zu E-Autos.

Laut einer Analyse des Umweltverbunds ICCT bieten Diesel beim
Klimaschutz keinen nennenswerten Vorteil mehr. Im Gegenteil, vielfach
sollen Elektroautos schon jetzt klimaschonender sein als Autos mit
Verbrenner. Demnach sparen E-Mobile in Europa während der ersten
150 000 Kilometer 28 bis 72 Prozent des Treibhausgases CO2 ein. Die
Bandbreite ergibt sich aus der lokalen Stromproduktion. In
Deutschland etwa entsteht wegen des hohen Anteils von Kohlestrom mehr
Treibhausgas als in anderen Ländern.

Gleichzeitig leiden die deutschen Autohändler immer stärker unter der
Diesel-Misere. «Die Autokäufer sind zutiefst verunsichert. Drohende
Fahrverbote in den Ballungsgebieten machen gebrauchte Diesel fast
unverkäuflich», sagt der Präsident des Zentralverbands Deutsches
Kraftfahrzeuggewerbe, Jürgen Karpinski. Beim Handel stünden mehrere
Hunderttausend gebrauchte Diesel auf Halde, die Lage sei für einen
Teil der Unternehmen inzwischen existenzbedrohend.

Klar ist trotz allem: Dieselmotoren werden noch lange im Einsatz
sein. Als Schiffsantrieb sind sie vorerst wohl unersetzlich, im
Schienenverkehr sowieso, als Notstromaggregate - und sogar in
Flugzeugen. Aber in Autos? Wollen die Hersteller um Fahrverbote
herumkommen, müssen sie nach Einschätzung von Branchenfachmann
Ferdinand Dudenhöffer Hardware-Umrüstungen für die betroffenen Wagen

anbieten. Das schließt etwa Volkswagen aus - auch weil eine neue
Typgenehmigung nötig sei, die viel Zeit koste. Zudem sei ungeklärt,
wer die Kosten dafür übernehmen soll.