Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit: Endspiel um das Kosovo beginnt Von Thomas Brey, dpa

16.02.2018 08:23

Im Dauerkonflikt zwischen Kosovo und Serbien herrscht Stillstand
überall: Bei der EU-Vermittlung und den beiden tief zerstrittenen
Nachbarländern sowieso. Jetzt soll aber endlich eine Lösung kommen.

Pristina (dpa) - Was wurde nicht schon alles aufgeboten, um den
jahrzehntelangen Kosovo-Konflikt zu lösen? Die NATO zwang 1999 unter
Beteiligung der Bundeswehr in ihrem ersten Kampfeinsatz nach dem
Zweiten Weltkrieg serbisches Militär und Freischärler zum Rückzug aus

dem Kosovo. Dort hatten sie zuvor bis zu 800 000 Albaner gewaltsam
vertrieben. 2007 stellte der frühere finnische Präsident und
Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari im Namen der UN nach
schwierigen Verhandlungen seinen Kosovo-Plan vor - er existierte nur
auf dem Papier.

Es gibt seit fast zwei Jahrzehnten eine UN-Kosovo-Verwaltung (UNMIK)
und seit zehn Jahren die größte ausländische EU-Rechtsstaatsmission
(EULEX), die beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen soll.
Schließlich sorgt die von der NATO geführte Schutztruppe (KFOR) für
Sicherheit, bei der Bundeswehrsoldaten einer der wichtigsten Teile
sind. Schließlich vermittelt die EU-Außenbeauftragte Federica
Mogherini seit vielen Jahren weitgehend erfolglos zwischen Kosovo und
Serbien. 2013 gab es zwar ein erstes Abkommen - doch wurde das nie
umgesetzt.

Niemand konnte bisher den gordischen Knoten zerschlagen. Die über
90-prozentige albanische Bevölkerungsmehrheit verlangt die
völkerrechtliche Anerkennung durch Serbien, wie es bisher schon mehr
als 110 Staaten weltweit getan hatten. Belgrad will seine frühere
Provinz wieder zurückhaben, weil hier seine mittelalterlichen Klöster
und Schlachtfelder liegen. Jetzt hat Serbiens Staatspräsident
Aleksandar Vucic als der unbestritten alles bestimmende Politiker in
diesem Balkanland Vorschläge für eine dauerhafte Lösung angekündigt
.

Obwohl er noch kein einziges Detail veröffentlicht hat, schrillten
bei seinen Landsleuten die Alarmglocken. Bischof Amfilohije, immerhin
die Nummer zwei in der Orthodoxen Kirche, beschuldigte Vucic sofort,
«das Kosovo zu verraten». «Sie verhalten sich wie Prostituierte» un
d
wollten das Kosovo gegen die EU-Mitgliedschaft regelrecht verkaufen,
donnerte Nationaldichter Matija Beckovic in der Zeitung «Danas» über

Vucic und dessen Regierung. In der Tat wiederholt die EU
gebetsmühlenartig, dass eine Mitgliedschaft des Beitrittskandidaten
Serbien nur möglich ist, wenn der Kosovo-Konflikt gelöst ist.

Wenn jemand dieses europäische Dauerproblem einer Lösung näher
bringen kann, so ist das der starke Mann Vucic. Das sagen jedenfalls
europäische Diplomaten hinter vorgehaltener Hand. Denn der habe einen
historisch so überragenden Einfluss in seiner Heimat, dass er
möglicherweise seine emotional aufgewühlten Landsleute umstimmen
kann. Allerdings haben westliche Politiker auch klargemacht, dass
Vucic als Gegenleistung für seine jahrelange Unterstützung «jetzt
liefern muss». Spätestens bis zum kommenden Jahr soll die Frage vom
Tisch sein, heißt es.

Was kann Vucic theoretisch anbieten, um seine Bürger mit dem Verlust
des Kosovos als dem «Herzen Serbiens» und dem «serbischen Jerusalem
»
zu versöhnen? Es gibt viele Spekulationen, von denen die meisten
einen Gebietstausch unterstellen. Nordkosovo mit seiner lokalen
serbischen Mehrheit soll zu Serbien kommen. Im Gegenzug könnte das
sogenannte Presevo-Tal in Südserbien mit seinen geschätzten bis zu
100 000 Albanern Kosovo zugeschlagen werden. Schließlich muss auch
noch eine Lösung zum Schutz der serbischen Kosovo-Klöster gefunden
werden, wobei der Vatikan als Vorbild dienen könnte, heißt es.

Als Reaktion auf die noch unbekannten Vucic-Pläne hat die komplette
nationalistische Intellektuellen- und Politikerriege im letzten Monat
unter maßgeblichem Einfluss der Kirche einen «Appell zur Verteidigung
Kosovos» unterschrieben. Hauptforderungen: Ende der EU-Vermittlung
zwischen den verfeindeten Nachbarn; Stopp der EU-Mission im Kosovo
(EULEX) und der NATO-Schutztruppe KFOR; Einfrieren des Streits nach
dem Vorbild des Zypernkonflikts. Brüssel und Washington dürften die
Haare zu Berge stehen und auch Vucic weiß, dass in diesem Fall ein
EU-Beitritt des armen Landes eine Utopie bleibt.