EU will sich von Trump emanzipieren - «bisher nicht weltpolitikfähig»

17.02.2018 17:56

Was will Trump? Sein Sicherheitsberater lässt in München viele Fragen
offen. Europa will nicht mehr nur nach Washington starren, sondern
das Schicksal in die eigene Hand nehmen. Aber geht das überhaupt?

München (dpa) - Die Europäische Union will auf der internationalen
Bühne in die von US-Präsident Donald Trump aufgerissene Lücke stoße
n
und verstärkt als Ordnungsmacht in der Welt auftreten.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte auf der Münchner
Sicherheitskonferenz am Samstag: «Wir waren lange Zeit nicht
weltpolitikfähig. Die Umstände bringen es mit sich, dass wir uns um
Weltpolitikfähigkeit bemühen müssen.»

Außenminister Sigmar Gabriel betonte in München, die USA seien unter

Trump nicht mehr verlässlich. Angesichts der brisanten Lage in der
Welt müsse Europa mehr Machtbewusstsein entwickeln. Dazu gehöre auch
die Bereitschaft, sich militärisch zu engagieren. «Als einziger
Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser verdammt
schwer haben.» Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz warnte
allerdings, die Europäer müssten wieder stärker an einem Strang
ziehen, bevor sie eine größere Rolle in der Welt spielen könnten.
Dazu gehöre vor allem der Schutz der Außengrenzen.

Gabriel begründete seine Forderung nach einem stärkeren Europa auch
mit einer «Verschiebung der Weltordnung mit unabsehbaren
Konsequenzen», etwa dem Erstarken Chinas. Die EU dürfe sich nicht
durch andere auseinanderdividieren lassen. «Niemand sollte versuchen,
die Europäische Union zu spalten: nicht China, nicht Russland, aber
auch nicht die Vereinigten Staaten.»

Was die aktuelle Sicherheitslage angeht, zeichnete der
geschäftsführende SPD-Minister ein düsteres Bild. Die Welt steht
seiner Einschätzung an einem gefährlichen Abgrund. Der
Syrien-Konflikt bewege sich nach sechs blutigen Jahren als Bürger-
und Stellvertreterkonflikt in eine Richtung, «die akute Kriegsgefahr
selbst für unsere engen Partner» bedeute.

Der Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, Herbert Raymond
McMaster, drohte dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad weitere
Vergeltungsschläge für Chemiewaffeneinsätze im Bürgerkrieg an. «F
otos
zeigen ganz klar, dass Assad weiter Chemiewaffen einsetzt», sagte
McMaster in München. Es sei Zeit für alle Staaten, die
Assad-Regierung dafür verantwortlich zu machen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte EU, Nato und die
USA zu einem respektvollen Umgang mit seinem Land auf. Es werde
«Propaganda» betrieben, der wachsende Einfluss Russlands werde nur
negativ gesehen. Dabei wolle Russland ein verlässlicher Partner sein.
«Wir sind bereit, in einen offenen, von Respekt getragenen Dialog
einzutreten.» Er rief zu mehr Zusammenarbeit auf, insbesondere mit
der EU, auch in internationalen Konflikten, etwa im Nahen Osten. «Wir
möchten eine berechenbare EU, eine starke EU haben, die ein
verantwortungsvoller Akteur ist im außenpolitischen Rahmen weltweit.»

Gabriel drang in München auf verstärkte Anstrengungen zu einer Lösung

der Ukraine-Krise. Er plädiert bei erkennbaren Fortschritten - einem
von den UN überwachten Waffenstillstand in der Ostukraine - weiter
für einen schrittweisen Abbau der Wirtschaftssanktionen. «Ich finde,
wir müssen versuchen Geschwindigkeit aufzunehmen», sagte Gabriel am
Samstagmorgen bei einem Frühstück des Ost-Ausschusses, an dem auch
Lawrow teilnahm.

Der russische Außenminister beteuerte später: «Wie kein anderes Land

möchten auch wir, dass die Krise gelöst wird.» Lawrow klagte
allerdings, die Ukraine werde vor die «falsche Wahlmöglichkeit»
gestellt, sich entweder Russland oder der EU zuzuwenden.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich nach einem Treffen
mit Lawrow pessimistisch zu Aussichten auf eine mögliche
UN-Friedensmission für die Ukraine. Es gebe nicht viel Bewegung bei
diesem Thema, sagte er. «Wir brauchen mehr Fortschritte bei der
Umsetzung der Minsker Abkommen», sagte Stoltenberg.

Die EU hat die Sanktionen gegen Russland an die Umsetzung des Minsker
Friedensabkommens von 2015 gekoppelt und sie wegen fehlender
Fortschritte erst im Dezember verlängert. Umstritten ist, ob die
Sanktionen schon vor einer vollständigen Umsetzung des Abkommens
schrittweise zurückgefahren werden sollen. In der Ostukraine
bekämpfen sich ukrainische Truppen und pro-russische Separatisten.

Aus der CDU kam Kritik an Gabriels Forderung nach einer schrittweisen
Lockerung der Sanktionen. «Die Forderung widerspricht dem Ergebnis
der Koalitionsverhandlungen», sagte Unionsfraktionsvize Johann
Wadephul der Deutschen Presse-Agentur. «Eine schrittweise Lockerung
der Sanktionen kommt für uns nicht in Betracht. Von Minsk ist noch
nichts umgesetzt.»

Die britische Premierministerin Theresa May sprach sich bei ihrem
Auftritt für ein umfangreiches Sicherheitsabkommen mit der EU nach
dem Brexit aus. «Wir möchten die Kooperation auch nach dem Austritt
aus der EU fortsetzen und vorantreiben», sagte May. «Europas
Sicherheit ist unsere Sicherheit.»