Wer wird was in Brüssel? Konsequenzen auch für neue Bundesregierung Von Thomas Lanig und Alkimos Sartoros, dpa

23.02.2018 16:15

Das Rennen hat begonnen. 2019 muss ein neuer EU-Kommissionspräsident
gefunden werden. Oder eine Präsidentin. Das Verfahren ist umstritten.
Deutsche Kandidaten sind nicht im Rennen, aber für die Mannschaft in
Brüssel könnte die Kanzlerin gar einen ihrer Minister ziehen lassen.

Brüssel (dpa) - Das deutsche Wort «Spitzenkandidat» hat es in der
Europäischen Union zur sprachübergreifenden Berühmtheit gebracht,
fast so bekannt wie «Kindergarten» oder «Zeitgeist». Allerdings
verbinden sich mit dem Begriff heftige Kontroversen, die auf dem
EU-Sondergipfel am Freitag in Brüssel nicht ausgeräumt wurden. Längst

geht es nicht nur darum, wer 2019 Nachfolger von Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker wird. Sondern auch darum, wie er gekürt wird.

2014 lief es das erste Mal so mit den «Spitzenkandidaten»: Die
konservative EVP nominierte Juncker, die Sozialisten den SPD-Mann
Martin Schulz. Prominente Gesichter sollten die Europawahl
attraktiver machen, die Beteiligung der Wähler stagnierte dennoch. Am
Ende kam der Luxemburger Juncker an die Spitze der Kommission.

Ein «Automatismus» sei dies aber nicht, hieß es damals, und heißt e
s
heute. Denn schließlich müssen die Staats- und Regierungschefs ihre
Entscheidung den EU-Verträgen zufolge nur «unter Berücksichtigung des

Ergebnisses» der Europawahl treffen. Und dann muss das Parlament den
Kommissionspräsidenten bestätigen.

Aber Kanzlerin Angela Merkel kommt nicht daran vorbei, dass die EVP,
der sie angehört, an dem Verfahren der Spitzenkandidaten festhält.
Auch wenn sich ihre Begeisterung in Grenzen hält. Die EVP werde 2019
niemanden zum Kommissionschef wählen, der nicht Spitzenkandidat war,
sagt EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU).

Allerdings ist die Lage komplizierter als 2014. Eine Mehrheit für
eine Koalition aus Konservativen und Sozialisten ist nun, vor allem
durch den Niedergang der Sozialdemokraten in etlichen Ländern - etwa
in den Niederlanden aber auch in Deutschland - und den Aufstieg der
Bewegung «En Marche» von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron,
keineswegs sicher. Denkbar wäre also, dass weder Konservative noch
Sozialdemokraten den Kommissionspräsidenten stellen, sondern es am
Ende etwa eine liberale Spitzenkandidatin wird - wenn sie denn eine
Mehrheit zusammenbekommt. Deshalb kursieren in Brüssel vor allem drei
Namen:

MICHEL BARNIER 67): Der frühere EU-Binnenmarktkommissar und
französische Außenminister profiliert sich derzeit als im Ton
verbindlicher, in der Sache jedoch harter EU-Chefunterhändler in den
Brexit-Gesprächen mit Großbritannien. Das Timing könnte passen:
Großbritannien wird die EU voraussichtlich im März 2019 verlassen,
bis dahin sollen die Verhandlungen abgewickelt sein. Ein
erfolgreicher Abschluss wäre für Barnier aber wohl Voraussetzung für

höhere Aufgaben.

MARGRETHE VESTAGER (49): Die liberale Dänin und aktuelle
EU-Wettbewerbskommissarin könnte dann Chancen für die
Juncker-Nachfolge haben, wenn Barnier oder sonstwer als
EVP-Spitzenkandidat keine Mehrheit bekommt. In der aktuellen
EU-Kommission zählt sie zu den populärsten Figuren. In ihren
Auseinandersetzungen mit Großkonzernen wie Apple und Google hat sie
sich breite Anerkennung und den Ruf als furchtlose Kämpferin
erarbeitet.

FEDERICA MOGHERINI (44): Auch der Name der derzeitigen
EU-Außenbeauftragten fällt immer wieder. Die frühere italienische
Außenministerin hat den Ruf, die Dinge oft positiver zu sehen als sie
vielleicht teilweise sind. Kritiker warfen ihr daher Gutgläubigkeit
vor. Hinzu kommt, dass ihre sozialdemokratische Partei PD derzeit vor
erheblichen Schwierigkeiten steht. Das dürfte ihre Chancen etwas
schmälern.

Aber damit nicht genug: Für die neue Kommission muss auch ein
deutscher Vertreter und Nachfolger für Haushaltskommissar Günther
Oettinger gefunden werden. Die Union dürfte, das hat sie in den
Koalitionsverhandlungen mit der SPD klargemacht, auf einem eigenen
Kandidaten bestehen. Im Gespräch sind ausgerechnet zwei Namen, die in
einer neuen Regierung Merkel einen wichtige Rolle spielen.

PETER ALTMAIER (59): Der bisherige Kanzleramtsminister,
geschäftsführende Finanzminister und mögliche Wirtschaftsminister
einer neuen GroKo, ist als EU-Beamter beurlaubt. Er liebt Brüssel,
hat dort gelebt, und könnte sich einen Wechsel gut vorstellen. Bei
seinen Auftritten bei der Eurogruppe und bei den EU-Finanzministern
brilliert er mit seiner Mehrsprachigkeit. Das müsste einen Eintritt
ins Kabinett Merkel nicht behindern, bis zur Neubesetzung der
Kommission wird es mindestens bis Ende 2019 dauern.

URSULA VON DER LEYEN (59): Die bisherige Verteidigungsministerin ist

sogar in Brüssel geboren und dort sechs Jahre in die Schule gegangen.
Über ihre Ambitionen für die EU-Kommission gibt es verschiedene
Einschätzungen. Zuletzt wurde sie auch als Nachfolgerin von
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg genannt. Das wäre auch in
Brüssel - und könnte ihr noch besser gefallen.