Schock nach der Italien-Wahl: Wie weiter, Europa? Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

06.03.2018 15:51

Italien ist einer der sechs Gründerstaaten der Europäischen
Gemeinschaften. Jetzt punkten dort Populisten mit europakritischen
Parolen. Wie konnte es soweit kommen? Und was soll nun werden?

Rom (dpa) - Abwarten, ruhig bleiben. Das offizielle Brüssel reagiert
verbissen unaufgeregt auf das politische Beben bei der Parlamentswahl
in Italien. Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker sagte es auch genau so: «Keep calm and carry on.» Nur keine
Aufregung an den Finanzmärkten, es werde schon eine stabile Regierung
in Rom zustande kommen. Hinter den Kulissen und im Europaparlament
aber ist das Entsetzen groß. «Ich habe nicht gut geschlafen»,
bekannte Finanzkommissar Pierre Moscovici in kleiner Runde.

Mehr als jeder zweite Wähler in Italien hat für eine europakritische
oder europafeindliche Partei gestimmt - für die Europäische Union ist
das ein Schlag ins Gesicht. Doch weiß man in Brüssel weder, wie die
Wahlgewinner genau einzuschätzen sind, vor allem die einstmals
euro-feindliche und nun irgendwie weichgespülte Fünf-Sterne-Bewegung.
Noch weiß man, ob nun Populismus und Nationalismus in Europa wieder
Fahrt gewinnen und die Gemeinschaft auseinandertreiben könnten. Ihn
ängstige ein derartiges Ergebnis in einem EU-Gründerstaat, räumte
Moscovici ein.

Selbstkritische Stimmen sehen darin die Quittung für politische
Fehler in der Euro- und der Flüchtlingskrise, die die Italiener
entnervt in die Arme von Populisten und Extremisten getrieben hätten.
Blockierer auf europäischer Ebene hätten eine Mitverantwortung, sagt
zum Beispiel der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Er
meint damit Polen und Ungarn, die eine Flüchtlingsverteilung in
Europa ablehnten, so dass sich Italien mit mehr als 600 000 Migranten
alleine gelassen fühlte.

Aus Sicht des Grünen-Europapolitikers Sven Giegold darf sich aber
auch Berlin angesprochen fühlen. «Die hohe Jugendarbeitslosigkeit und
Armut in Italien schüren Unmut über die von Deutschland forcierte
Sparpolitik», moniert er im Rückblick auf die Eurokrise. «Die
Austeritätspolitik hat es den Populisten leicht gemacht, für Probleme
Italiens Europa verantwortlich zu machen.»

Entscheidender als der bittere Blick zurück ist jedoch die Furcht,
dass es nun mit der Blockade in Europa erst richtig losgeht. Die
Stärkung des Euro, die Asylreform, die mittelfristige Finanzplanung
für die EU, der Brexit - wichtige Großprojekte sollen im Jahr vor der
Europawahl 2019 unter Dach und Fach gebracht werden. Das
«erschreckende Ergebnis» verheiße für die Zusammenarbeit nichts
Gutes, meint der SPD-Europaabgeordnete und Italien-Kenner Jens Geier.
«Je nachdem, welche der Parteien künftig die italienischen Minister
stellt, dürften die Töne dort schriller werden.»

Eine Hängepartie bei der Regierungsbildung in Rom wäre da vielleicht
sogar noch die bevorzugte Variante gegenüber einer Regierung
anti-europäischer Quertreiber. Sorge macht vor allem die
ausländerfeindliche Lega, die rund 17 Prozent der Stimmen holte. Ihr
Chef Matteo Salvini triumphierte mit Anti-Brüssel-Slogans wie: «Über

Italien entscheiden die Italiener - nicht Berlin, nicht Paris,
nicht Brüssel» und auch nicht die Finanzmärkte. Darin liegt auch di
e
Drohung, Vorgaben etwa des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts zu übergehen - womöglich mit gefährlichen Folgen für

die Eurozone.

Experten wollen dennoch nicht absolut schwarzmalen. Wer die Regierung
in Rom bilde, sei völlig unklar, sagt Giovanni Grevi vom European
Policy Centre in Brüssel. Auch hätten die Fünf-Sterne-Bewegung und
die Lega im Wahlkampf ihre Positionen abgeschwächt und sich so
politische Beinfreiheit verschafft. Zwar blieben die Parteien bei
ihrer Grundsatzkritik am Euro, aber: «Ich glaube nicht, dass eine
italienische Regierung Reformen blockieren oder mit den
EU-Institutionen brechen würde», sagt Grevi.

Der Politikwissenschaftler Oliviero Angeli von der deutschen Stiftung
Mercator sieht dies ähnlich. Zu dem noch vor einiger Zeit von den
Sternen erwogenen Referendum über den Euro werde es wohl nicht
kommen. «Das ist politisch unwahrscheinlich und verfassungsrechtlich
problematisch», sagt Angeli. Er erwartet auch nicht, dass Salvini
Regierungschef wird. Für wahrscheinlicher hält er eine
«Techniker-Regierung», eine Koalition der Sterne mit der
sozialdemokratischen PD - oder eine Neuwahl.

Am Ende werde Italien, gestählt durch unzählige Regierungskrisen,
auch diese meistern - so macht sich auch die EU-Kommission Mut.
«Italien ist eine sehr starke Nation, ich bin sicher, dass sie da
herauskommt», sagte Vizepräsident Frans Timmermans der französischen

Zeitung «Le Figaro». Doch gibt er sich nachdenklich. Das Wahlergebnis
gründe auch auf einem Missverständnis über Europa. Das müsse man si
ch
zu Herzen nehmen und Konsequenzen ziehen. «Man muss sich fragen: Wie
können wir die Demokratie neu erfinden, damit sich die Europäer darin
wohl fühlen?»