Bundesregierung will Kleinstparteien aus EU-Parlament verbannen Von Ansgar Haase, dpa

16.04.2018 18:30

Die Bundesregierung will über den Umweg der EU Urteile des
Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht aushebeln. Die betroffenen
kleinen Parteien sind empört.

Luxemburg (dpa) - Die Bundesregierung will den Einzug sehr kleiner
deutscher Parteien ins Europaparlament verhindern. Nach Angaben von
EU-Diplomaten setzen sich CDU, CSU und SPD in Brüssel dafür ein, dass
an diesem Dienstag bei einem EU-Ministertreffen eine spezielle
Sperrklausel beschlossen wird. Diese soll dafür sorgen, dass in
Deutschland Parteien mit einem niedrigen einstelligen Wahlergebnis
keinen Sitz im Europaparlament bekommen. Die Hürde für einen Einzug
ins Parlament soll demnach auf einen Wert zwischen zwei und fünf
Prozent festgelegt werden.

Die Änderung könnte beispielsweise die Ökologisch-Demokratische
Partei (ÖDP), die Piratenpartei, die rechte NPD oder die Freien
Wähler betreffen. Sie hatten bei der Wahl 2014 den Einzug in
Europaparlament geschafft, weil das Bundesverfassungsgericht kurz
zuvor die Drei-Prozent-Hürde im deutschen Europawahlgesetz ersatzlos
gestrichen hatte. Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der
Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, hieß es
damals im Urteil. Im Gegensatz zum Bundestag komme es im
Europaparlament nicht so auf stabile Mehrheitsverhältnisse an.

Vor allem unter Verweis auf den Karlsruher Richterspruch kritisieren
kleine Parteien das Vorgehen der Bundesregierung als skandalös.
«Nachdem das Bundesverfassungsgericht wiederholt Versuche der großen
Koalition gestoppt hat, die Abbildung des Wählerwillens im
Europaparlament durch eine Sperrklausel zu behindern und sich
gleichzeitig selbst mehr Sitze zuzuweisen, will Bundeskanzlerin
Merkel die Karlsruher Urteile nun durch Vorgaben aus Brüssel
aushebeln», kommentierte die Piratenpartei. Sie will rechtliche
Schritte prüfen, sollte die von der Bundesregierung vorangetriebene
Wahlrechtsreform beschlossen werden.

Die ÖDP reagiert ähnlich und verweist darauf, dass die
Wahlrechtsreform so konzipiert wurde, dass sie lediglich Deutschland
und mit Einschränkungen Spanien treffen würde. «Die etablierten
Parteien haben aus den diversen Verfassungsgerichtsurteilen nichts
gelernt. Im Gegenteil: Sie versuchen mit immer neuer Trickserei die
eindeutigen und vielfach von Gerichten bestätigten Verfassungsregeln
zur Chancengleichheit bei demokratischen Wahlen zu umgehen»,
kommentierte der Landesverband NRW.

Die großen etablierten Parteien wie CDU und SPD begründen ihr
Eintreten für eine Sperrklausel bei der Europawahl mit der Sorge vor
einer Zersplitterung des EU-Parlaments. Das Bundesverfassungsgericht
sah diese bislang nicht. Es hatte bereits 2011 die damals geltende
Fünf-Prozent-Klausel bei der Europawahl gekippt. 2013 beschloss der
Bundestag als Reaktion darauf die Drei-Prozent-Klausel, die 2014 aber
ebenfalls keinen Bestand hatte.

Über die Änderung des Europawahlrechts will die Bundesregierung diese
Richtersprüche aushebeln. Bis zuletzt sah sie sich allerdings mit dem
Widerstand Belgiens konfrontiert, das der Reform wie alle anderen
EU-Staaten zustimmen müsste. Dort ist vor allem die flämische
Regierungspartei NVA der Ansicht, dass kleine Parteien die politische
Landschaft bereichern. Die deutschen Parteien verweisen auch darauf,
dass die Gefahr einer Zersplitterung gering ist, weil sich die
Abgeordneten kleiner Parteien sehr oft einer Fraktion anschließen,
die in etwa ihre politischen Vorstellungen vertritt. Derzeit seien
beispielsweise fünf der sieben deutschen Einzelmandatsträger Mitglied
einer der großen EU-Parlamentsfraktionen.