Selmayr-Affäre endet mit Rüge des Europaparlaments Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

18.04.2018 17:02

Wochenlang brachte die Ernennung des Deutschen Martin Selmayr zum
Spitzenbeamten der EU-Kommission das politische Brüssel in Wallung.
Jetzt dürfte die umstrittene Personalie erst einmal abgehakt sein.

Straßburg (dpa) - Wegen der umstrittenen Blitzbeförderung seines
Vertrauten Martin Selmayr hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker eine Rüge des Europaparlaments kassiert. Die Art der Berufung
des Deutschen zum höchsten Beamten der Kommission «könnte als
putschartige Aktion gesehen werden, die die Grenzen des Rechts dehnt
oder sogar überdehnt», heißt es in einer am Mittwoch verabschiedeten

Resolution. Zudem sehen die Abgeordneten den Ruf aller europäischer
Institutionen in Gefahr und fordern Korrekturen.

Allerdings fiel der Beschluss nach wochenlangen Diskussionen über
Postenschieberei zahmer aus als von einigen Abgeordneten gewünscht.
Der Text ist auch so zweideutig formuliert, dass sich Abgeordnete
danach nicht einig waren, ob ein neues Bewerbungsverfahren für den
Selmayr-Posten gefordert wird oder nur eine Änderung für künftige
Fälle. Etliche Änderungsanträge zur Verschärfung wurden abgelehnt,

auch einer, der den sofortigen Rücktritt Selmayrs forderte.

Die Kommission reagierte denn auch gelassen auf den
Parlamentsbeschluss. Nach der Aufregung über die Personalie sei man
nun an dem «Punkt angelangt, an dem wir all dies sachlich, objektiv
und mit klarem Verstand betrachten müssen», meinte der für Personal
zuständige Kommissar Günther Oettinger und wiederholte die bisherige
Linie der Behörde: Alle Regeln seien befolgt worden und Selmayr sei
für die Stelle qualifiziert. Gleichwohl sei man offen für eine
konstruktive Diskussion, um Regeln und Verfahren zu verbessern.

Es ist der vorläufige Schlusspunkt einer sehr aufgeregten Debatte
über die Benennung Selmayrs, der in Brüssel als machtbewusster und
einflussreicher Mann hinter Juncker gilt. Der 47-Jährige war Junckers
Kabinettschef und wurde dann am 21. Februar überraschend zunächst zum
stellvertretenden Generalsekretär und wenige Minuten später zum
Generalsekretär der EU-Kommission befördert.

Das Parlament kritisierte vor allem, dass der Spitzenposten nicht
ausgeschrieben, sondern in dem zweistufigen Blitzverfahren besetzt
wurde. Dabei wussten Juncker und Selmayr nach eigenen Angaben schon
jahrelang, dass der Posten im März 2018 frei würde. Dieses Verfahren
und die Art, wie darüber informiert wurde, habe das Ansehen der
Kommission beschädigt, heißt es in dem Parlamentsbeschluss.

Journalisten und Abgeordnete hatten die Kommission wochenlang mit
Fragen bestürmt, auf die Oettinger mit seitenlangen Antwortkatalogen
und in einer mündlichen Anhörung reagierte. Auf dem Höhepunkt der
hitzigen Debatte soll Juncker in einer internen Sitzung der
Europäischen Volkspartei mit Rücktritt gedroht haben, falls Selmayr
gehen müsste. Tatsächlich bangten einige Abgeordnete nach Angaben aus
dem Parlament, dass ein Sturz Junckers oder gar der ganzen Kommission
gut ein Jahr vor der nächsten Europawahl nur Verdruss stiften würde.

Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold äußerte sich dennoch verärgert:

«In Zeiten von Skepsis und Misstrauen gegenüber der Europäischen
Union haben Jean-Claude Juncker und Martin Selmayr Öl ins Feuer
gegossen und den Eindruck der Europäischen Union als
Selbstbedienungsladen befeuert.» Die Fraktion der Sozialdemokraten
erklärte: «Der Selmayr-Skandal hat die europäischen Bürger zu Recht

geärgert, er war für alle Institutionen peinlich und hat jene
frustriert, die für eine faire und bessere EU kämpfen. Das darf nie
wieder passieren.»

Auch die Chefin des Haushaltskontrollausschusses, die CDU-Abgeordnete
Inge Gräßle bedauerte, dass die Art und Weise der Berufung
öffentliche Missbilligung erweckt habe. Doch habe der Ausschuss keine
rechtliche Basis gefunden, Selmayrs Rücktritt zu fordern. Die
Kommission solle ihre Regeln bis Jahresende ändern, um künftig
Transparenz und Integrität bei solchen Berufungen sicherzustellen.