Merkel und Macron wollen bei EU-Reform im Sommer liefern

19.04.2018 17:01

Frankreichs Präsident Macron dominiert bisher die Debatte über
EU-Reformen. Nach der überlangen Regierungsbildung will Kanzlerin
Merkel nun verlorenen Boden wieder gut machen.

Berlin (dpa) - Trotz anhaltender Differenzen wollen Kanzlerin Angela
Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte des Jahres
gemeinsame Reformvorschläge für eine Wiederbelebung Europas vorlegen.
«Wir brauchen offene Debatten und wir brauchen zum Schluss auch die
Fähigkeit zum Kompromiss», sagte Merkel am Donnerstag in Berlin bei
einem Besuch Macrons. Die CDU-Chefin steht dabei auch innerhalb der
Union unter Druck, da es bei CDU und CSU erheblichen Widerstand gegen
finanzpolitische Teile der Macron'schen Reformvorschläge gibt.

Merkel und Macron kündigten in Berlin an, bei ihren bevorstehenden
Besuchen bei US-Präsident Donald Trump gemeinsame Positionen
vertreten zu wollen, etwa beim Handelsstreit und in der Syrien-Krise.

Bis zum EU-Gipfel Ende Juni wolle man zentrale Entscheidungen für
eine Reform Europas treffen, versicherten Merkel und Macron. Der
französische Staatschef unterstrich, Europa stehe an einer
Wegscheide. «Wir leben in einem Moment des europäischen Abenteuers,
das wirklich einzigartig ist.» Durch Kriege und Handelskonflikte
werde die gemeinsame Souveränität Europas auf den Prüfstand gestellt.


Merkel sagte, Berlin und Paris brächten teilweise andere Aspekte in
die Debatte ein, in der Summe könne man aber zu guten Ergebnissen
kommen. Auch die Kanzlerin mahnte, Europa könne seine Interessen nur
gemeinsam durchsetzen.

Merkel ist in der Debatte um Reformen in der EU etwas ins
Hintertreffen geraten. Vor gut einem Jahr hatte sie bei Macrons
erstem Besuch Hermann Hesse zitiert: «Jedem Anfang wohnt ein Zauber
inne.» Darauf angesprochen sagte sie nun: «Als ich das damals
zitierte, wusste ich noch nicht ganz genau, dass die Bildung einer
Regierung so lange dauert. Deshalb haben wir den Zauber ein bisschen
konserviert und ein paar Monate weggelegt. Aber jetzt kommt er
wieder.»

Als Themen, die bei den Reformen angegangen werden sollen, nannte
Merkel unter anderem die europäische Asylpolitik, eine gemeinsame
Außenpolitik sowie eine Weiterentwicklung der Wirtschafts- und
Währungsunion. Vor allem bei der Umsetzung des letzten Punktes liegen
Paris und Berlin noch weit auseinander. Merkel und größere Teile der
Union treten etwa bei einem eigenen Eurozonen-Haushalt auf die
Bremse. Es wird befürchtet, dass dies insbesondere für Deutschland
teuer werden könnte.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) rief die
Unions-Fraktion zu Kompromissbereitschaft bei den EU-Finanzen auf.
Man müsse die Reformpläne der EU-Kommission und Macrons nicht
umfassend unterstützen. Aber sie nicht zu diskutieren und nicht zur
Einigung zu kommen, wäre falsch, sagte er.

FDP-Chef Christian Lindner warf der Bundesregierung bei «Spiegel
Online» vor, keine Antwort auf Macron zu haben. «Bei uns wusste er,
woran er ist.» In Finanzfragen hätte es mit der FDP keine Spekulation
darüber gegeben, «ob Deutschland auf einen mediterranen Kurs
einschwenkt, wie Frau Merkel ihn glauben gelassen hat». Die FDP lehne
Macrons Weg ab, Finanzen und Risiken in Europa stärker zu
vergemeinschaften.

Die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska
Brantner, mahnte Merkel: «Macrons ausgestreckte Hand verhungern zu
lassen, ist mit Blick auf den dringend notwendigen Reformbedarf der
EU fahrlässig. Aus Angst der CDU vor der AfD wird die Zukunft der EU
aufs Spiel gesetzt.»

Die beiden Regierungschefs wollen in der kommenden Woche bei Trump
auch die schwierigen Themen klar ansprechen. «Wir haben eine Zeit, in
der es auch Differenzen gibt», sagte die CDU-Vorsitzende. Sie betonte
aber auch, dass sie trotz aller Meinungsverschiedenheiten fest zum
transatlantischen Bündnis stehe. Macron, der einige Tage vor Merkel
zu Trump reist, sprach von einer «transatlantischen
Schicksalsgemeinschaft».

Die Kanzlerin reist Ende nächster Woche zum zweiten Mal seit Trumps
Amtsantritt im Januar 2017 nach Washington. Das deutsch-amerikanische
Verhältnis hatte sich deutlich verschlechtert. Differenzen gibt es
etwa wegen drohender Strafzölle oder wegen des Klimaschutzes.

Vor den politischen Gesprächen im Kanzleramt hatte Merkel Macron auf
der Baustelle des Humboldt Forums im Berliner Stadtschloss empfangen.
Dort soll nach der für 2019 geplanten Eröffnung in einem
internationalen Ideenaustausch nach neuen Erkenntnissen bei Themen
wie Migration und Globalisierung gesucht werden.