Deutsch-französischer Zauber: Nur konserviert oder schon verflogen? Von Jörg Blank und Michael Fischer, dpa

19.04.2018 16:43

Wie ein europäisches Traumpaar treten Merkel und Macron zur Zeit
nicht gerade auf. Der Besuch des Franzosen bei der Kanzlerin zeigt:
Zwischen beiden knirscht es ordentlich.

Berlin (dpa) - Diesem Auftritt wohnt kein Zauber inne. Und wenn doch,
schaffen es Angela Merkel und Emmanuel Macron sehr konsequent, ihn zu
verbergen. Da helfen auch die obligatorischen Begrüßungs-Küsschen
rechts und links nichts: Die Kanzlerin hat an diesem Donnerstag ihre
ernsteste Leichenbittermiene zur gemeinsamen Pressekonferenz mit dem
französischen Präsidenten mitgebracht.

Lange und immer wieder schaut Merkel den jungen Franzosen von der
Seite an, als er seine Vision eines geeinten Europas von morgen
umschreibt. Kein Lächeln, das Thema ist zu ernst. Doch auch die
Blicke der beiden, die im vergangenen Jahr als hoffnungsvolles
europäisches Traumpaar galten, treffen sich fast nie.

Als Macron ausschweifend und etwas pathetisch den Moment des
europäischen Abenteuers beschwört, der wirklich einzigartig sei, und
von der vielen Arbeit spricht, die noch vor ihnen liege, zieht die
Kanzlerin einen schrägen Mund.

Dabei hat Merkel für den Empfang ihres wichtigsten Partners in der EU
extra einen symbolträchtigen Ort gewählt: die Baustelle des
Humboldt-Forums im wiedererstehenden Berliner Stadtschloss. Ein «sehr
europäisches Projekt» nennt die Kanzlerin das Forum, mit dem man
zeigen werde, dass man Globalisierung gestalten wolle. «Das ist
etwas, was Frankreich und Deutschland eint.» Dass das Forum nach den
Gebrüdern Humboldt benannt sei, zeige außerdem, dass es eine enge
deutsch-französiche Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft nicht
erst jetzt gebe, sondern schon in früheren Zeiten gegeben habe.

Das Humboldt-Forum steht quasi für die Hauptthemen von Merkels
vierter und wohl letzter Amtsperiode: Hier soll nach der für Ende
2019 geplanten Eröffnung im internationalen Ideenaustausch nach
Lösungen bei Migration und Globalisierung gesucht werden.

Doch schon jetzt wollen Merkel und Macron eigentlich neuen Schwung in
die deutsch-französische Achse bringen. Weitreichende EU-Reformen
sollen verhindern, dass die Rechtspopulisten bei der Europawahl Ende
Mai 2019 in Europa große Erfolge einfahren. Doch ob der Kanzlerin und
dem Präsidenten das gelingt?

Ein halbes Jahr musste der Franzose nach seinen EU-Reformvorschlägen
in der Pariser Sorbonne wegen der quälend langen Regierungsbildung in
Berlin auf eine Antwort der Kanzlerin warten. Und jetzt tritt Merkel
vor allem bei manchen Plänen für eine Reform der europäischen
Finanzarchitektur auf die Bremse, weil es erhebliches Grummeln in der
Union gibt. Die Kanzlerin muss sich Sorgen machen, dass sie bei
Bundestagsabstimmungen über wichtige europäische Änderungen in den
eigenen Reihen keine Mehrheit bekommen könnte.

«Wir brauchen offene Debatten und wir brauchen zum Schluss auch die
Fähigkeit zum Kompromiss», sagt Merkel wohl auch deswegen mahnend,
als sie wiederholt, dass sie mit Macron bis zum EU-Gipfel Ende Juni
eine Lösung in der Reformdebatte finden wolle. Europa könne seine
Interessen nur gemeinsam durchsetzen, heißt ihr Credo.

Doch die gebremste Euphorie dürfte nicht nur mit den unions- und
koalitionsinternen Problemen zu tun haben, die vor Merkel liegen.
Macron hat die Zeit der politischen Lähmung in Berlin genutzt, um
nicht nur mit seinen europäischen Reformideen vorzupreschen. Auch bei
anderen Themen hat er die Kanzlerin unter Druck gesetzt - so als
würde er mit ihr um die Führungsrolle in Europa ringen.

So ist Macron im Syrien-Konflikt und im Fall des in Großbritannien
vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal voranmarschiert. Bei der
Ausweisung russischer Diplomaten etwa hatte Paris klar gemacht, dass
man diesen Schritt selbst dann gehen werde, wenn Berlin nicht
mitmachen wolle. Merkel blieb letztlich gar nichts anders übrig, als
mitzuziehen - weil sie unbedingt das Signal der Zerstrittenheit der
wichtigsten EU-Partner gegenüber Wladimir Putin vermeiden wollte.

Auch bei der Reaktion auf den jüngst mutmaßlich von der syrischen
Regierung verantworteten Giftgasangriff auf die eigene Bevölkerung
ließ Macron Merkel nicht gerade tatkräftig aussehen. Er setzte an der
Seite von US-Präsident Donald Trump und der britischen
Premierministerin Theresa May sein Militär für einen
Vergeltungsschlag ein. Merkel hatte auch hier kaum eine Alternative
zur Unterstützung des Vorgehens. Solidarität mit den Verbündeten
wiegt in einer solchen Situation schwerer als Bedenken gegen
militärisches Vorgehen.

Der lange Jahre als mächtigste Frau der Welt bekannten Merkel dürfte
das nicht gerade gefallen haben.

Immerhin betonen Merkel und Macron nun, sie wollten mit einer
einheitlichen Linie in ihre Gespräche mit Trump in der nächsten Woche
gehen. Macron ist von Montag bis Mittwoch in den USA und trifft den
US-Präsidenten sogar auf dem Golfplatz. Bei Skripal und in der Kritik
an Putin ist er viel näher bei Trump als Merkel. Am Freitag der Woche
wird sich dann zeigen, ob der Amerikaner es schafft, die wichtigen
Europäer gegeneinander auszuspielen: Die Kanzlerin kommt direkt nach
Macron für einen eintägigen Kurztrip zu Trump nach Washington.

Von einem französischen Journalisten wird Merkel am Ende auf ein
Hesse-Zitat angesprochen, das sie dem damals frisch gewählten Macron
bei dessen Antrittsbesuch am Mitte Mai 2017 mit auf den Weg gegeben
hatte. «Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne», hatte sie damals gesagt.
Nun möchte der Mann wissen: «Wirkt der Zauber noch?»

Die Antwort der Kanzlerin kommt etwas ernüchtert daher. «Als ich das
damals zitierte, wusste ich noch nicht ganz genau, dass die Bildung
einer Regierung so lange dauert. Deshalb haben wir den Zauber ein
bisschen konserviert und ein paar Monate weggelegt», sagt sie. Und
schiebt dann aber noch hinterher: «Aber jetzt kommt er wieder.»