Widerstand in Europa gegen Asyl-Kompromisse

21.06.2018 20:37

EU-Kommissionschef Juncker wollte mit seinem Entwurf zur Asylpolitik
wohl Kanzlerin Merkel helfen. Doch womöglich hat er ihr einen
Bärendienst erwiesen: Nach heftigem Protest fällt die Erklärung wohl

ins Wasser. Welche Chancen gibt es noch auf eine Einigung?

Berlin/Brüssel (dpa) - Das Asyltreffen mehrerer Staats- und
Regierungschefs am Wochenende in Brüssel soll nach Protest aus
Italien ohne gemeinsame Erklärung enden. Regierungschef Giuseppe
Conte erklärte am Donnerstag auf Facebook, Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) habe ihm zugesagt, dass der Entwurf der Erklärung «beiseite
gelegt» werde. «Das Treffen wird nicht mit einem geschriebenen Text
abschließen», so Conte. Der Gastgeber des Brüsseler Treffens,
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, hatte eigentlich eine
vierseitige Erklärung der Teilnehmer angepeilt.

Die Bundesregierung war bemüht, den Wirbel um das Treffen zu dämpfen.
In deutschen Regierungskreisen hieß es: «Das Treffen am Sonntag hat
lediglich vorbereitenden Charakter.» Die Bundesregierung sei in
konstruktiven Gesprächen mit Italien.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnte Merkel unterdessen
scharf davor, ihn zu entlassen. Die Kanzlerin steht unter heftigem
Druck, weil die CSU bis Monatsende Fortschritte bei der Zurückweisung
von Migranten erwartet. Doch die Vorzeichen dafür sind schlecht.

Conte schrieb auf Facebook, er habe am Donnerstag einen Anruf Merkels
erhalten, die ihm von ihrer Sorge berichtet habe, er könne an dem
Treffen nicht teilnehmen. «Ich habe ihr bestätigt, dass es für mich
inakzeptabel gewesen wäre, an diesem Gipfel teilzunehmen, wenn es
schon einen vorgefertigten Text dafür gibt», erklärte der Italiener.

Sein Innenminister Matteo Salvini hatte schon am Vortag deutlich
gemacht, dass seine Regierung keine Asylbewerber von Deutschland
zurücknehmen will.

Auch aus Osteuropa und aus der CSU bläst Merkel weiter heftiger
Gegenwind ins Gesicht. Die vier Visegrad-Staaten (Ungarn, Polen,
Tschechien, Slowakei) werden dem Asyl-Gipfel fernbleiben. «Wir fahren
nicht», sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nach einem
Treffen der Staatengruppe mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Das
einzige Forum, das zu Entscheidungen in der Migrationsfrage befugt
sei, sei der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. «Wir
verstehen, dass es Länder gibt, die mit innenpolitischen Problemen
ringen, aber das darf zu keinen gesamteuropäischen Panikhandlungen
führen», sagte Orban wohl mit Blick auf Deutschland.

Zu dem Treffen am Wochenende werden derzeit neben Merkel die Staats-
und Regierungschefs von Österreich, Italien, Frankreich,
Griechenland, Bulgarien, Spanien, Malta, Belgien, Dänemark und der
Niederlande erwartet.

Die CSU von Innenminister Seehofer hatte ihr zwei Wochen eingeräumt,
um spätestens beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni bilaterale
Vereinbarungen zu treffen, nach denen Flüchtlinge an der Grenze
zurückgewiesen werden können, wenn sie bereits in einem anderen
EU-Land registriert wurden.

Seehofer warnte Merkel davor, ihn wegen eines Alleingangs im
Asylstreit zu entlassen. «Wenn man mit dieser Begründung einen
Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines
Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo
sind wir denn?», sagte er der «Passauer Neuen Presse» (Freitag).

«Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und
handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im
Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre,
dann sollte man die Koalition beenden», sagte Seehofer.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wies den Vorwurf zurück,

es gehe ihm im Asylstreit um die bayerische Landtagswahl im Oktober.
Er sagte im ZDF, er mache sich vielmehr Sorgen um die Demokratie in
Deutschland. Merkel sagte in einer Diskussionsrunde mit Studenten in
der jordanischen Hauptstadt Amman: «Wir müssen ein offenes Land
sein», auch wenn die Migration natürlich geordnet und gesteuert
werden müsse.

Juncker hatte mit der für Sonntag geplanten gemeinsamen Erklärung der
Teilnehmer des Brüsseler Treffens eigentlich die Verständigung auf
eine Reihe von Grundprinzipien im Asylstreit befördern wollen. In dem
Entwurf des Papiers heißt es: «Wir werden einen flexiblen gemeinsamen
Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten.» Nach
seinem Willen sollen Merkel und die anderen Teilnehmer auch eine
Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von
Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. «Es gibt kein
Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu
wählen», heißt es in dem Entwurf.

Juncker kommt mit seinem Papier eigentlich der CSU entgegen. Sie will
Schutzsuchende, die andernorts in der Europäischen Union bereits
registriert wurden, an der deutschen Grenze abweisen. Doch die CSU
ist skeptisch: «Wir haben die Sorge, dass Angela Merkel jetzt mit dem
Scheckbuch durch Europa läuft. Sie braucht Griechenland und Italien
für eine Lösung in der Flüchtlingsfrage», sagte CSU-Vorstandsmitgli
ed
Markus Ferber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er spielte damit
auf die Einigung zum Eurozonen-Budget an, die Merkel mit Frankreichs
Staatspräsident Emmanuel Macron getroffen hatte. «Für die CSU ist
klar: Es darf keinen Deal zu Lasten der deutschen Steuerzahler geben.
Es geht nicht, Dinge zu vermischen, die nicht zusammengehören.»

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verteidigte die Einigung mit
Macron. Er sagte, es sei ein Erfolg der Kanzlerin, dass sich
Frankreich hinter ihre Bemühungen gestellt habe, «durch eine
verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ländern Rücknahmen von
Flüchtlingen zu organisieren, die in einem anderen Land registriert
worden sind und dort bereits ein Asylverfahren begonnen haben».

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte: «Der Streit
zwischen CDU und CSU macht vielen Menschen in unserem Land Sorge.»
Dass es Probleme zwischen den Schwesterparteien gebe, sei nicht neu.
Sie betonte aber: «Aktuell braucht man Fantasie, um zu sehen, wie sie
wieder zueinander kommen könnten. Ich hoffe, dass sie das schaffen.»

FDP-Chef Christian Lindner sagte: «Für die Opposition sind das
schwierige Zeiten, denn die Regierung selbst ist sich Opposition
genug.»