Was erwartet Merkel beim Asyltreffen in Brüssel?

22.06.2018 18:09

Enormer Druck in Deutschland, Uneinigkeit in Europa: Bei dem
Asyltreffen mit 16 EU-Staaten am Sonntag in Brüssel will
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch einen Ausweg aus dem
Machtkampf mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) finden. Was
kann sie noch erreichen?

Berlin (dpa) - Vor dem informellen Treffen zur Asylpolitik in Europa
am Sonntag gehen die Vorstellungen weit auseinander. Eine Rücknahme
von Flüchtlingen ist - wie schon die Umverteilung zuvor - heftig
umstritten. Auch beim Thema verstärkter Grenzschutz werden unter
einem Begriff ganz unterschiedliche Vorstellungen zusammengefasst:
von geordneter Einwanderung bis hin zu Abweisung von Migranten. Gegen
symbolträchtige Schritte wie eine verschärfte Kontrolle auf Flughäfen

gibt es dagegen keine öffentlichen Einwände. Ein Überblick:

ITALIEN: In Rom ist der Unmut über Berlin groß. Regierungschef
Giuseppe Conte erklärt, er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel
deutlich gemacht, dass er nur komme, wenn es keinen (von Deutschland
und Frankreich) vorgefertigten Text gebe. Sein Innenminister Matteo
Salvini sagte, Italien wolle angesichts Hunderttausender Ankömmlinge
in den vergangenen Jahren Asylbewerber abgeben statt zurückzunehmen.
Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte er eine Absage: «Wir
können keinen Einzigen mehr aufnehmen.» Es erscheint damit äußerst

fraglich, dass Merkel ein bilaterales Abkommen mit dem Land zur
Rücknahme von Migranten gelingen kann.

ÖSTERREICH: Kanzler Sebastian Kurz fordert seit langem eine deutliche
Wende in der Asylpolitik. Er sieht kaum Chancen für eine europäische
Lösung und ist bereit für nationale Alleingänge. Aus seiner Sicht hat

Merkel die Misere verschuldet. Seine zentrale Forderung: Wirksamer
Schutz der EU-Außengrenzen. Dass Deutschland Migranten aufgrund
mangelhafter Reisedokumente zurückschickt, ist für Österreich nichts

Neues: Allein in diesem Jahr waren es bereits rund 2500.

DÄNEMARK: Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen setzt sich gemeinsam

mit der österreichischen Regierung dafür ein, dass Asylbewerber in
Auffang- und Abschiebelagern in einem «nicht besonders attraktiven»
europäischen Land außerhalb der EU untergebracht werden.

FRANKREICH: Vom wichtigsten Partner Frankreich bekam Merkel im
Asylstreit Rückendeckung. Staatschef Emmanuel Macron versicherte,
sein Land sei bereit, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus
Deutschland zurückzunehmen. Paris und Berlin arbeiteten gemeinsam an
einer Lösung mit betroffenen Staaten. Frankreich hat mit Italien seit
über 20 Jahren eine Vereinbarung zur Zurückweisung von Migranten.

MALTA: Wie sich Malta mit Blick auf bilaterale Abkommen positionieren
wird, ist unklar. Wie andere Staaten an der Außengrenze Europas ist
der kleinste EU-Staat für eine Überwindung des Dublin-Systems. Zwar
kamen in den letzten Jahren kaum Bootsflüchtlinge in Malta an - im
vergangenen Jahr waren es laut UNHCR gerade mal 23. Allerdings
entschied das Land im vergangenen Jahr 815 Asylanträge positiv, was
pro Kopf mehr waren als in Italien oder Frankreich.

BULGARIEN: Der Balkanstaat ist derzeit EU-Ratspräsident und hat für
den EU-Gipfel in der kommenden Woche eigene Vorschläge zur Asyl- und
Migrationspolitik angekündigt. Details wurden nicht genannt.
Bulgarien ist Transitland - Flüchtlinge wollen selten in dem ärmsten
EU-Land bleiben. 2017 haben 3700 Migranten Asyl in Bulgarien
beantragt, in den ersten fünf Monaten 2018 waren es 492 Die
Aufnahmestellen sind nur zu 20 Prozent belegt.

BELGIEN: Belgien war in der Vergangenheit mit einer verpflichtenden
Quote zur Umverteilung von Flüchtlingen über alle EU-Staaten
einverstanden. Den Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk, aus
Seenot gerettete Flüchtlinge künftig zu zentralen Sammelpunkten
außerhalb Europas zu bringen, wollte Premierminister Charles Michel
noch analysieren, wie die Nachrichtenagentur Belga berichtete.

SPANIEN: Für den linken neuen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ist
der Migrationsgipfel das Debüt auf der europäischen Bühne. Spanien
hat durchklingen lassen, bereitwilliger als bisher Flüchtlinge
aufzunehmen. Erst vor wenigen Tagen hatte das Land das von Italien
abgewiesene Rettungsschiff Aquarius mit 630 Migranten anlanden
lassen. Medien sehen die spanische Migrationspolitik als Vorbild für
Brüssel: Bereits zwischen 2006 und 2008 hatte das Land Abkommen mit
Herkunftsländern wie Senegal, Mauretanien, Mali oder Niger
unterzeichnet. Dafür sicherte Spanien wirtschaftliche Unterstützung,
eine kleine Zahl regulärer Einreisevisen und Arbeitsgenehmigungen zu.

GRIECHENLAND: Regierungschef Alexis Tsipras wiederholt bei jeder
Gelegenheit, die Migrationskrise sei «nur mit europäischer
Solidarität zu bewältigen». Beobachter erwarten, dass er sich beim
Treffen am Wochenende nicht gegen eine Lösung sperren wird. Zudem ist
eine Destabilisierung Deutschlands und der Bundesregierung auf keinen
Fall im Interesse Griechenlands. Als Gegenleistung für ein «Ja»
Athens könnten mehr Investitionen in Griechenland gefordert werden.

NIEDERLANDE: Einerseits ist das Land gegen die Einführung von
Grenzkontrollen innerhalb der EU - schon weil das auch erheblich den
Handel belasten könnte. Auf der anderen Seite will Ministerpräsident
Mark Rutte auch verhindern, dass nur einige wenige Länder wie
Deutschland, Schweden oder die Niederlande die Lasten tragen. Die
Niederlande sind daher für Asylzentren außerhalb der EU-Grenzen nach
dem Vorbild des Türkei-Deals, auch wenn das mehr Geld kostet. Rutte
sieht sich als ein möglicher Vermittler im Asylstreit.