Seehofers Kampfansage an Merkel kurz vor dem EU-Asyl-Treffen

23.06.2018 19:13

Horst Seehofer lässt nicht locker. Seit Tagen droht der Innenminister
der Kanzlerin im Asylstreit. Kurz vor dem - für Merkel sehr wichtigen
- EU-Treffen zum Thema gibt er der CDU-Chefin eine unverhohlene
Botschaft mit. Auf EU-Ebene taucht nun eine Idee auffallend oft auf.

Berlin (dpa) - Im erbitterten Streit über die deutsche Asylpolitik
hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) nachgelegt und eine offene
Kampfansage an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gerichtet. Er werde sich
auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht davon
abbringen lassen, mehr Flüchtlinge als bisher an der Grenze
abzuweisen, sagte der CSU-Chef der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag)
vor dem anstehenden Asyl-Treffen in Brüssel. Es sei höchst
ungewöhnlich, dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU mit der
Richtlinienkompetenz zu drohen. «Das werden wir uns auch nicht
gefallen lassen.» Gegenwind bekam Merkel vor dem Treffen in Brüssel
auch aus anderen EU-Staaten.

Zwischen CDU und CSU läuft in der Asylfrage ein offener Machtkampf.
Die CSU will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn
diese bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Merkel ist
gegen einen Alleingang und will eine europäische Lösung mit
bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen. Die CSU-Spitze hat Merkel dafür
bis Ende Juni Zeit gegeben. Andernfalls will Seehofer als
Innenminister gegen Merkels Willen im nationalen Alleingang eine
Abweisung an den Grenzen anordnen - ein Schritt, der zum Bruch des
Unionsbündnisses und damit zum Ende der Koalition führen könnte.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte Seehofer davor,
gegen den Willen der Kanzlerin Zurückweisungen anzuordnen. «Wenn in
dieser Frage ein Minister anders als die Kanzlerin entscheiden würde,
hat sie aus der Würde ihres Amtes heraus keine Wahl», sagte Schäuble

dem «Tagesspiegel am Sonntag» mit Blick auf die Möglichkeit Merkels,

einen Minister bei einem Verstoß gegen die von ihr vorgegebenen
Richtlinien zu entlassen.

Seehofer sagte, er unterstütze eine europäische Lösung. «Aber wenn
es
bis zum EU-Gipfel keine Regelung gibt, beginne ich mit den
Zurückweisungen an der Grenze.» Auf die Frage, was dann passiere,
antwortete er: «Dann wird es schwierig.» Seehofer warf Merkels Umfeld
in dem Streit Unverhältnismäßigkeit vor: «Man hat im Kanzleramt aus

einer Mücke einen Elefanten gemacht.»

Die CSU ist mit dem Vorwurf konfrontiert, hinter den Kämpfen stecke
vor allem Wahlkampfstrategie, um sich gegen die erstarkende AfD zu
behaupten. Im Oktober ist in Bayern Landtagswahl. Der CSU droht der
Verlust der absoluten Mehrheit.

Aus der Opposition und vom Koalitionspartner SPD kamen eindringliche
Rufe, die Kämpfe zu beenden. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles nannte
Seehofer auf dem Landesparteitag der Sozialdemokraten in NRW «eine
Gefahr für Europa». Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) beklagte in der
«Rheinischen Post» (Samstag), die Union schade mit ihrem Streit dem
Land. Linksparteichef Bernd Riexinger sprach in der «Heilbronner
Stimme» (Samstag) von einem klaren Putschversuch der CSU gegen die
Kanzlerin. Das eigentliche Ziel sei, Merkel zu stürzen.

Entscheidend wird der EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel sein,
bei dem Merkel Ergebnisse erreichen soll. Bereits an diesem Sonntag
ist in Brüssel zur Vorbereitung ein informelles Arbeitstreffen
geplant, an dem 16 EU-Staaten teilnehmen wollen. Eingeladen hat dazu
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Eine Abschlusserklärung
ist der Bundesregierung zufolge dort nicht geplant.

Die Ausgangslage für das Treffen am Sonntag ist schwierig. Das von
Rechtspopulisten mitregierte Italien, wo viele Asylbewerber als
erstes in der EU ankommen, will kategorisch keine Flüchtlinge
zurücknehmen. Aus anderen wichtigen Einreisestaaten wie Spanien und
Griechenland sind zwar bereitwilligere Signale zu hören. Generell
sind die EU-Staaten in der Asylfrage aber sehr uneins - seit Jahren.

Einigkeit herrscht bisher quasi nur beim Bestreben, die Außengrenzen
der EU besser zu schützen. Aus Bulgarien, das derzeit die
EU-Ratspräsidentschaft innehat, kam der Ruf, die Außengrenzen für
illegale Migranten umfassend abzuriegeln. Bulgarische Medien
zitierten Ministerpräsident Boiko Borissow außerdem mit den Worten,
Bulgarien könne wie auch Griechenland, Italien und Spanien nicht
damit einverstanden sein, dass Migranten in die EU-Staaten
zurückgeschickt würden, wo sie erstmals registriert wurden.

Eigentlich ist dies nach den EU-«Dublin»-Regeln so vorgesehen -
allerdings über ein geordnetes Verfahren und nicht per Zurückweisung,
wie Seehofer es nun will. Das «Dublin»-System funktioniert aber schon
seit langem nicht mehr. Seehofer plädiert daher für einen Alleingang.

Die sogenannten Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die
Slowakei lehnten eine Teilnahme an dem Brüsseler Vorbereitungstreffen
am Sonntag demonstrativ ab. Tschechien drohte vielmehr mit der
Schließung seiner Grenzen, falls Deutschland umfassende
Zurückweisungen an der eigenen Grenze starten sollte.

Überraschend einmütig warben dagegen mehrere Regierungschefs und
EU-Vertreter offensiv dafür, ankommende Flüchtlinge in Asylzentren
außerhalb Europas zu schaffen. Der dänische Ministerpräsident Lars
Lökke Rasmussen und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sagten
der «Bild»-Zeitung, sie arbeiteten gemeinsam mit anderen Staaten an
«Schutzzonen» für Flüchtlinge außerhalb der EU.

Auch EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani aus Italien sagte den
Zeitungen der Funke-Mediengruppe, es brauche Hotspots für Flüchtlinge
außerhalb der EU. Er könne sich zwei solcher Auffangcamps auf dem
Balkan vorstellen, etwa in Albanien oder Nord-Mazedonien. «Und wir
brauchen zwei oder drei solcher Camps auch in Afrika.» Tajani und
Kurz warnten vor einem Auseinanderfallen Europas wegen der Asylfrage.

Die Idee von «Auffanglagern» für Flüchtlinge jenseits der EU steht

schon länger im Raum. Auch EU-Ratschef Donald Tusk hatte dies mit
Blick auf das Asyl-Sondertreffen angeregt. Seehofer plädierte
ebenfalls dafür, Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer künftig nicht
nach Italien oder Spanien zu bringen, sondern an «sichere Orte»
beispielsweise in Nordafrika. «Das könnte rasch geschehen.» Der Frage

nach der Rechtsgrundlage für ein solches Verfahren wich Seehofer aus.