Was Angela Merkel beim Asyltreffen in Brüssel zu erwarten hat

24.06.2018 04:30

Beim Asyltreffen mit 16 EU-Staaten in Brüssel will Bundeskanzlerin
Merkel auch einen Ausweg aus dem Machtkampf mit ihrem Innenminister
Horst Seehofer finden. Angesichts teils widerstrebender Interessen
der Teilnehmerländer dürfte das schwer werden.

Brüssel (dpa) - Vor dem informellen Treffen zur Asylpolitik in Europa
am Sonntag gehen die Vorstellungen weit auseinander. Eine Rücknahme
von Flüchtlingen ist - wie schon die Umverteilung zuvor - heftig
umstritten. Auch beim Thema verstärkter Grenzschutz werden unter
einem Begriff ganz unterschiedliche Vorstellungen zusammengefasst:
von geordneter Einwanderung bis hin zu Abweisung von Migranten. Gegen
symbolträchtige Schritte wie eine verschärfte Kontrolle auf Flughäfen

gibt es dagegen keine öffentlichen Einwände. Ein Überblick:

ITALIEN: In Rom ist der Unmut über Berlin groß. Regierungschef
Giuseppe Conte erklärt, er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel
deutlich gemacht, dass er nur komme, wenn es keinen (von Deutschland
und Frankreich) vorgefertigten Text gebe. Sein Innenminister Matteo
Salvini sagte, Italien wolle angesichts Hunderttausender Ankömmlinge
in den vergangenen Jahren Asylbewerber abgeben statt zurückzunehmen.
Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte er eine Absage: «Wir
können keinen Einzigen mehr aufnehmen.» Es erscheint damit äußerst

fraglich, dass Merkel ein bilaterales Abkommen mit dem Land zur
Rücknahme von Migranten gelingen kann.

ÖSTERREICH: Kanzler Sebastian Kurz fordert eine Wende in der
Asylpolitik. Er will einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen
erreichen, sieht aber kaum Chancen für eine europäische Lösung und
ist bereit für nationale Alleingänge. Kanzleramtsminister Gernot
Blümel forderte im Deutschlandfunk die Einrichtung von Asylzentren
außerhalb Europas, Verteidigungsminister Mario Kunasek via «Welt am
Sonntag» den Einsatz von Soldaten an der EU-Außengrenze. Das Mandat
der EU-Grenzschutzagentur Frontex müsse so geändert werden, «dass ein

Grenzschutz-Einsatz von Polizisten und Soldaten künftig möglich ist».


DÄNEMARK: Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen rechnet nach eigenem

Bekunden nicht mit einem Durchbruch. «Wir brauchen definitiv mehr als
ein Treffen. Nicht unbedingt, um uns auf etwas zu verständigen, aber
um eine Lösung umzusetzen», sagte er der «Bild»-Zeitung. Er stellte

jedoch fest: «Wenn ich mir die deutsche Politik ansehe, dann habe ich
den Eindruck, dass es jetzt eine Bereitschaft gibt, das Problem in
einer viel weiteren Perspektive zu diskutieren als nur Umverteilung.»

FRANKREICH: Vom wichtigsten Partner Frankreich bekam Merkel im
Asylstreit Rückendeckung. Staatschef Emmanuel Macron versicherte,
sein Land sei bereit, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus
Deutschland zurückzunehmen. Ebenso wie Spanien macht sich Frankreich
für geschlossene Flüchtlingszentren in Europa stark. Diese Zentren
müssten mit den Regeln des UN-Flüchtlingshilfswerks
UNHCR übereinstimmen, sagte Macron. Frankreich hat mit Italien seit
über 20 Jahren eine Vereinbarung zur Zurückweisung von Migranten.

MALTA: Wie sich Malta mit Blick auf bilaterale Abkommen positionieren
wird, ist unklar. Wie andere Staaten an der Außengrenze Europas ist
der kleinste EU-Staat für eine Überwindung des Dublin-Systems. Zwar
kamen in den letzten Jahren kaum Bootsflüchtlinge in Malta an - im
vergangenen Jahr waren es laut UNHCR gerade mal 23. Allerdings
entschied das Land im vergangenen Jahr 815 Asylanträge positiv, was
pro Kopf mehr waren als in Italien oder Frankreich.

BULGARIEN: Das Land will vorschlagen, die Außengrenzen des
Staatenverbunds zu schließen. Ministerpräsident Boiko Borissow sprach
sich während eines Telefonats mit seinem ungarischen Kollegen Viktor
Orban für «unverzügliche Maßnahmen zur Schließung der EU-Außeng
renzen
und für strenge Kontrollen an den EU-Binnengrenzen» aus, wie
bulgarische Medien unter Berufung auf die Regierung berichteten.
Bulgarien hat zurzeit den EU-Ratsvorsitz inne.

BELGIEN: Belgien war in der Vergangenheit mit einer verpflichtenden
Quote zur Umverteilung von Flüchtlingen über alle EU-Staaten
einverstanden. Den Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk, aus
Seenot gerettete Flüchtlinge künftig zu zentralen Sammelpunkten
außerhalb Europas zu bringen, wollte Premierminister Charles Michel
noch analysieren, wie die Nachrichtenagentur Belga berichtete.

SPANIEN: Für den linken neuen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ist
der Migrationsgipfel das Debüt auf der europäischen Bühne. Spanien
hat durchklingen lassen, bereitwilliger als bisher Flüchtlinge
aufzunehmen, das Land macht sich für geschlossene Flüchtlingszentren
in Europa stark. Erst vor wenigen Tagen hatte Spanien das von Italien
abgewiesene Rettungsschiff Aquarius mit 630 Migranten anlanden
lassen. Medien sehen die spanische Migrationspolitik als Vorbild für
Brüssel: Bereits zwischen 2006 und 2008 hatte das Land Abkommen mit
Herkunftsländern wie Senegal, Mauretanien, Mali oder Niger
unterzeichnet. Dafür sicherte Spanien wirtschaftliche Unterstützung,
eine kleine Zahl regulärer Einreisevisen und Arbeitsgenehmigungen zu.

GRIECHENLAND: Regierungschef Alexis Tsipras wiederholt bei jeder
Gelegenheit, die Migrationskrise sei «nur mit europäischer
Solidarität zu bewältigen». Beobachter erwarten, dass er sich beim
Treffen nun nicht gegen eine Lösung sperren wird. Zudem ist eine
Destabilisierung Deutschlands und der Bundesregierung keinesfalls im
Interesse Griechenlands. Als Gegenleistung für ein «Ja» Athens
könnten mehr Investitionen in Griechenland gefordert werden.

NIEDERLANDE: Einerseits ist das Land gegen die Einführung von
Grenzkontrollen innerhalb der EU - schon weil das auch erheblich den
Handel belasten könnte. Auf der anderen Seite will Ministerpräsident
Mark Rutte auch verhindern, dass nur einige wenige Länder wie
Deutschland, Schweden oder die Niederlande die Lasten tragen. Die
Niederlande sind daher für Asylzentren außerhalb der EU-Grenzen nach
dem Vorbild des Türkei-Deals, auch wenn das mehr Geld kostet. Rutte
sieht sich als ein möglicher Vermittler im Asylstreit.