Tendenz Abschottung: Schwieriges EU-Asyltreffen in Brüssel

24.06.2018 04:58

Angela Merkel muss bis Ende Juni beim Thema Asyl etwas abliefern, um
die rebellierende CSU und deren Chef Horst Seehofer einzufangen. Bei
einer Art Vor-Gipfel im kleineren Kreis beraten 16 EU-Staaten nun
über mögliche Wege. Die Ausgangslage ist denkbar kompliziert.

Brüssel/Berlin (dpa) - Unmittelbar von dem EU-Sondertreffen zur
Asylpolitik kommen aus diversen Mitgliedsstaaten Forderungen nach
einer stärkeren Abschottung Europas. Österreichs
Verteidigungsminister Mario Kunasek verlangte den Einsatz von
Soldaten an der EU-Außengrenze. Bulgarien, das derzeit die
EU-Ratspräsidentschaft innehat, will bei dem Spitzentreffen von 16
EU-Staaten vorschlagen, die Außengrenzen des Staatenverbundes zu
schließen und außerhalb des EU-Gebiets Flüchtlingszentren zu bauen.

Frankreich und Spanien fordern Zentren für ankommende Migranten «auf
europäischem Boden». Dafür müsse es europäische Solidarität und

sofortige finanzielle Unterstützung geben, sagte der französische
Präsident Emmanuel Macron nach einem Treffen mit dem neuen spanischen
Regierungschef Pedro Sanchez in Paris. Andere europäische Länder
sollten dann solidarisch Migranten aufnehmen, die einen Asylanspruch
hätten. Auch bei der Rückführung von Menschen in ihre Herkunftsländ
er
sollten die Europäer zusammenarbeiten.

Das Treffen in Brüssel dient der Vorbereitung des EU-Gipfels Ende
Juni. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will dort für bilaterale
Vereinbarungen zur Rücknahme von Asylsuchenden werben, um einen
nationalen Alleingang von Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei der
Zurückweisung von Flüchtlingen abzuwenden.

Innenpolitisch steht Merkel enorm unter Druck. Die CSU will
Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn diese bereits in
einem anderen EU-Land registriert sind. Merkel ist dagegen, so etwas
ohne Abstimmung mit den EU-Partnern zu tun, und will stattdessen eine
europäische Lösung mit bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen.

Die CSU-Spitze hat Merkel dafür bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni
Zeit gegeben. Präsentiert sie bis dahin keine Lösung, will Seehofer
als Innenminister gegen Merkels Willen eigenmächtig eine Abweisung an
den Grenzen anordnen - ein Schritt, der zum Bruch des
Unionsbündnisses und damit zum Ende der Koalition führen könnte.

Die Erwartung an den regulären Gipfel Ende des Monats ist daher sehr
hoch. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat zu dem
Vorbereitungstreffen an diesem Sonntag eingeladen. Ob und inwiefern
es dort schon Zwischenergebnisse geben wird, ist unklar. Eine
Abschlusserklärung ist laut Bundesregierung nicht geplant.

Neben der zunächst angepeilten Gruppe aus Deutschland, Griechenland,
Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und Spanien sind
laut EU-Kommission nun noch Belgien, die Niederlande, Dänemark,
Kroatien, Slowenien, Finnland, Schweden und Luxemburg dabei. Zwölf
Staaten nehmen nicht teil. Demonstrativ abgesagt hatten etwa die
Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei.

Die Ausgangslage für das Treffen am Sonntagnachmittag ist generell
schwierig. Das von Rechtspopulisten mitregierte Italien, wo viele
Asylbewerber als erstes in der EU ankommen, will keine Flüchtlinge
zurücknehmen. Aus anderen wichtigen Einreisestaaten wie Spanien und
Griechenland sind zwar bereitwilligere Signale zu hören. Generell
sind die EU-Staaten in der Asylfrage aber sehr uneins - seit Jahren.

Überraschend einmütig warben vor dem Sondertreffen mehrere
Regierungschefs und führende EU-Vertreter offensiv dafür, ankommende
Flüchtlinge in Asylzentren außerhalb Europas zu schaffen und dort zu
versorgen - unter anderen der dänische Ministerpräsident Lars Lökke
Rasmussen und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, ebenso
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani oder EU-Ratschef Donald Tusk.
Die Idee von «Auffanglagern» für Flüchtlinge jenseits der EU steht

schon länger im Raum, bekommt nun aber zunehmend Anhänger.

Immer lauter wird vor allem der Ruf nach mehr Abschottung der
EU-Außengrenzen. Österreichs Verteidigungsminister Kunasek sagte der
«Welt am Sonntag», aus seiner Sicht müsse das Mandat der
EU-Grenzschutzagentur Frontex so geändert werden, «dass ein
Grenzschutz-Einsatz von Polizisten und Soldaten künftig möglich ist».

Österreich hat von Juli bis Jahresende den EU-Ratsvorsitz inne.

Aus dem aktuellen Vorsitz-Land Bulgarien kamen ähnliche Töne:
Bulgarische Medien meldeten, Ministerpräsident Boiko Borissow habe
sich für «unverzügliche Maßnahmen zur Schließung der EU-Außengr
enzen
und für strenge Kontrollen an den EU-Binnengrenzen» ausgesprochen.
Sie zitierten Borissow außerdem mit den Worten, Bulgarien könne wie
andere Länder nicht einverstanden sein, dass Migranten in EU-Staaten
zurückgeschickt würden, wo sie erstmals registriert wurden.

Eigentlich ist dies nach den EU-«Dublin»-Regeln so vorgesehen -
allerdings per geordnetem Verfahren und nicht per Zurückweisung, wie
Seehofer es nun will. Das «Dublin»-System funktioniert aber schon
lange nicht mehr. Seehofer droht daher mit seinem Alleingang.

Er werde sich auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht
davon abbringen lassen, mehr Flüchtlinge als bisher an der Grenze
abzuweisen, sagte Seehofer der «Süddeutschen Zeitung». Es sei höchs
t
ungewöhnlich, dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU mit der
Richtlinienkompetenz zu drohen. «Das werden wir uns auch nicht
gefallen lassen.»

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte Seehofer vor einem
Alleingang. «Wenn in dieser Frage ein Minister anders als die
Kanzlerin entscheiden würde, hat sie aus der Würde ihres Amtes heraus
keine Wahl», sagte Schäuble dem «Tagesspiegel am Sonntag». Er bezie
ht
sich damit auf Merkels Möglichkeit, Seehofer bei einem Verstoß gegen
die von ihr vorgegebenen Richtlinien zu entlassen.

Mäßigend meldete sich CSU-Vize Manfred Weber zu Wort. Mit Blick auf
das EU-Treffen rief er zur Unterstützung Merkels auf. «Es braucht in
dieser Woche Ergebnisse beim Migrationsthema auf europäischer Ebene»,
sagte der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament den Zeitungen der
Funke Mediengruppe. «Jetzt müssen wir die Kanzlerin unterstützen,
damit sie in der EU deutsche Interessen durchsetzen kann.»