Merkel sucht mit EU-Partnern rasche Notlösung im Asylstreit

24.06.2018 15:46

Seit Jahren kommt die EU bei der gemeinsamen Asylpolitik nicht voran,
doch nun soll alles ganz schnell gehen. Denn nicht nur das Schicksal
der großen Koalition in Berlin könnte von einer raschen Lösung
abhängen.

Brüssel (dpa) - Unter maximalem innenpolitischen Druck hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag einen raschen Asylkompromiss
mit wichtigen europäischen Partnern gesucht. Schon in den kommenden
Tagen sollen Absprachen mit einzelnen EU-Ländern stehen, sagte die
CDU-Chefin vor einem Asyl-Sondertreffen in Brüssel. Ziel ist, das
Weiterwandern von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen.

Merkel will bis zum EU-Gipfel am Donnerstag eine Lösung erreichen,
die den CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer von einem
asylpolitischen Alleingang abhält. Davon könnte die Zukunft der
großen Koalition abhängen, aber auch die weitere Entwicklung in
Europa. Mehrere Politiker warnten am Wochenende, die Europäische
Union könnte am Asylstreit zerbrechen.

Merkel sagte in Brüssel, Thema des Sondertreffens sei die Begrenzung
der illegalen Zuwanderung nach Europa, aber auch das Weiterziehen der
Menschen innerhalb der Europäischen Union. Bis zum EU-Gipfel werde
noch keine Gesamtlösung möglich sein. Deshalb gehe es nun um bi- oder
trilaterale Absprachen, wie man fair miteinander umgehen und einen
Ausgleich schaffen könnte. Die Arbeit daran werde in den nächsten
Tagen weitergehen.

Ziel der Kanzlerin sind Abkommen mit einzelnen EU-Partnern, um das
Weiterziehen von bereits registrierten Asylbewerbern nach Deutschland
zu unterbinden. Denn Seehofer droht damit, diese Menschen sonst an
den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Das wäre aus Sicht der meisten
Experten zumindest rechtlich problematisch und ginge zu Lasten der
Ankunftsländer Italien, Griechenland und Spanien.

Als Kompromisslinie deuteten sich vor dem Brüsseler Treffen zwei
Punkte ab, die allerdings nicht direkt eine Lösung für die
Wanderungsbewegungen in Europa bieten: eine noch striktere
Abschottung der EU-Außengrenzen und die mögliche Einrichtung von
Sammellagern für Migranten, entweder auf EU-Gebiet oder auch
außerhalb der EU, zum Beispiel in Nordafrika. Dazu liegen etliche
Vorschläge auf dem Tisch, deren Details offen sind. Unter anderem ist
kein Drittstaat bekannt, der zur Aufnahme solcher Lager bereit wäre.

Frankreich und Spanien forderten gemeinsam solche Zentren für
ankommende Migranten «auf europäischem Boden». Andere europäische
Länder sollten dann solidarisch Migranten aufnehmen, die einen
Asylanspruch hätten, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am
Samstag. Auch bei der Rückführung von Menschen in ihre
Herkunftsländer sollten die Europäer zusammenarbeiten.

Die CSU-Spitze hatte Merkel für eine Lösung bis zum EU-Gipfel am 28.
und 29. Juni Zeit gegeben. Am Wochenende erhöhte sie den Druck auf
Merkel noch einmal massiv. Seehofer sagte, er werde sich auch durch
Merkels Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen
einer Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen.

Der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag) sagte er, es sei höchst
ungewöhnlich, gegenüber dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU
mit der Richtlinienkompetenz zu drohen. «Das werden wir uns auch
nicht gefallen lassen.» Er unterstütze zwar eine europäische Lösung
.
«Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung gibt, beginne ich mit
den Zurückweisungen an der Grenze.»

Das wurde als neue Kampfansage in dem seit Wochen laufenden
Machtkampf der beiden Unionsparteien verstanden. In Teilen der Union
stoßen die heftigen Streitigkeiten an der Spitze auf wachsendes
Unbehagen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte
Seehofer davor, Merkel mit einem Alleingang herauszufordern und seine
Entlassung zu provozieren.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will keine
neue Grenzkontrollen in seinem Land, wie er dem «Kölner
Stadt-Anzeiger» (Samstag) sagte. Flächendeckende Grenzkontrollen
wären auch nach Einschätzung von Niedersachsens Innenminister Boris
Pistorius (SPD) gar nicht machbar. Die Bundespolizei könne unmöglich
die ganze Grenze kontrollieren, sagte er der «Bild am Sonntag».

Strikte Kontrollen an den deutschen Grenzen würden auch die
grenzkontrollfreie Schengenzone aushebeln. Das wiederum trifft bei
europäischen Partnern auf Widerstand. Der belgische Ministerpräsident
Charles Michel sagte vor dem Brüsseler Treffen am Sonntag, seine
erste Priorität sei, die kontrollfreie Reisefreiheit im Schengenraum
zu erhalten.

Die SPD beklagt, die Union schade mit ihrem Streit dem Land.
SPD-Chefin Andrea Nahles will CDU und CSU beim Koalitionsausschuss an
diesem Dienstag ein Bekenntnis zum Koalitionsvertrag abverlangen.
«Seit Wochen legen sich CDU und CSU gegenseitig, Deutschland und halb
Europa lahm. Am Dienstag müssen wir da mal Tacheles reden», sagte sie
der «Bild am Sonntag». Sie wolle von der CDU und vor allem der CSU
wissen, ob sie noch konstruktive Sacharbeit leisten könnten und
wollten.

Teilnehmer bei dem Treffen am Sonntag waren neben Deutschland,
Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und
Spanien auch Belgien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien,
Finnland, Schweden und Luxemburg. Zwölf EU-Staaten nehmen nicht teil.
Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen,
Tschechien und die Slowakei.