Merkel skizziert noch keine europäischer Lösung im Asylstreit

24.06.2018 21:35

Seit Jahren kommt die EU bei der gemeinsamen Asylpolitik nicht voran,
doch nun soll alles ganz schnell gehen - auch, um die große Koalition
in Berlin zu retten.

Brüssel (dpa) - Trotz des großen innenpolitischen Drucks hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem EU-Sondertreffen in Brüssel
noch keine kurzfristige Lösung im europäischen Asylstreit skizziert.
Es gebe aber viel guten Willen, sagte die CDU-Chefin am Sonntagabend.
Man werde bis zum EU-Gipfel am Donnerstag, «aber natürlich auch
danach», an Lösungen arbeiten. Ob sie schnelle Absprachen mit den
EU-Partnern erreichen kann, blieb offen.

Die CSU verlangt allerdings schon bis 1. Juli einen europäischen
Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu
unterbinden. Anderenfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer
mit einem Alleingang: Dann will er in der EU registrierte Flüchtlinge
an der deutschen Grenze zurückweisen lassen. Dies könnte die Zukunft
der großen Koalition, aber auch den Zusammenhalt in der EU gefährden.

Um eine rasche Lösung zu finden, hatte EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker zu dem Sondertreffen vor dem Gipfel eingeladen,
zu dem 16 EU-Länder kamen. Merkel gab sich danach optimistisch,
allerdings ohne dies konkret zu unterfüttern. Es habe ein großes Maß

an Übereinstimmung und eine gute Debatte gegeben, sagte sie.

Einig sei man sich über eine engere Zusammenarbeit mit den
Herkunftsländern der Migranten, eine Stärkung der EU-Grenzbehörde
Frontex und darüber, dass man «die Ankunftsländer nicht alleine
lassen» könne. Gleichzeitig könnten «aber Schlepper und Flüchtlin
ge
sich auch nicht aussuchen, in welchem der europäischen Länder sie
ihren Asylantrag bearbeiten lassen». Wo immer möglich, solle es
europäische Lösungen geben. Ansonsten müsse man jene, «die willig
sind, zusammenführen».

Vor Beginn des Treffens hatte Merkel noch konkret von Absprachen mit
einzelnen EU-Ländern gesprochen, um das Weiterziehen der Migranten zu
begrenzen. Italien - eines der Hauptankunftsländer am Mittelmeer -
will sich darauf aber auf die Schnelle nicht einlassen, wie es aus
italienischen Regierungskreisen hieß.

Der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert stattdessen eine
umfassende Lösung und einen radikalen Wandel in der europäischen
Asylpolitik. Das bisherige sogenannte Dublin-Systems solle aufgegeben
werden, heißt es in einem Zehn-Punkte-Plan Contes.

Nach den Dublin-Regeln müssen sich die Menschen dort registrieren
lassen und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden
betreten. Tatsächlich ziehen jedoch viele weiter Richtung
Deutschland.

Conte fordert, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu
reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und
sogenannten Schutzzentren in Transitländern. Sogenannte
Wirtschaftsflüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl sollten gerecht auf die
EU-Staaten verteilt werden.

Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann
«nebensächlich», heißt es in dem italienischen Papier. Erst dann w
äre
Italien bereit zu Einzelabsprachen: «Die sekundären Bewegungen können

so Gegenstand technischer Abkommen zwischen den besonders betroffenen
Ländern werden.»

Die noch striktere Abschottung der Außengrenzen scheint in der EU
konsensfähig. Zudem verdichtete sich die Unterstützung für mögliche

Sammellager für Migranten, entweder auf EU-Gebiet oder auch außerhalb
der EU, zum Beispiel in Nordafrika. Allerdings ist kein Drittstaat
bekannt, der zur Aufnahme solcher Lager bereit wäre.

Frankreich und Spanien fordern Zentren für ankommende Migranten «auf
europäischem Boden». Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnerte

an die europäischen Werte und warnte davor, das Thema
auszuschlachten: «Einige versuchen, die Situation in Europa zu
instrumentalisieren, um eine politische Spannung zu schaffen und mit
Ängsten zu spielen», kritisierte Macron.

Die CSU-Spitze hatte den Druck auf Merkel am Wochenende noch einmal
massiv erhöht. Seehofer sagte, er werde sich auch durch Merkels
Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen einer
Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen. Der
«Süddeutschen Zeitung» (Samstag) sagte er, er unterstütze zwar eine

europäische Lösung. «Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung
gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze.»

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte am Abend in der ZDF-Sendung
«Berlin direkt» zum unionsinternen Streit, man werde versuchen zu
gemeinsamen Positionen zu kommen. Aber: «Ich bin ein bisschen traurig
darüber, dass schon einige in den großen Wochenendzeitungen Töne von

sich geben, die nicht darauf hindeuten, dass man auch noch einen
Kompromiss suchen will.»

Voraussetzung für Zurückweisungen innerhalb der EU wären
systematische Kontrollen innerhalb der Schengenzone. Das trifft bei
europäischen Partnern auf Widerstand. Der belgische Ministerpräsident
Charles Michel sagte, seine erste Priorität sei, die kontrollfreie
Reisefreiheit im Schengenraum zu erhalten. Das Brüsseler Treffen
nannte er intensiv und nützlich.

Teilnehmer bei dem Treffen Brüsseler waren neben Deutschland,
Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und
Spanien auch Belgien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien,
Finnland, Schweden und Luxemburg. Demonstrativ abgesagt hatten etwa
die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei.

Während die Politiker in Brüssel tagten, spitzte sich die Lage für
viele Migranten auf dem Mittelmeer zu. Das Rettungsschiff «Lifeline»
der deutschen Organisation Mission Lifeline wartete auch am Sonntag
noch mit rund 230 Geretteten an Bord auf eine Anweisung, in welchen
Hafen es fahren darf. Zugleich gerieten mehrere Boote mit rund 1000
Migranten vor der Küste Libyens in Schwierigkeiten. Italien wies die
libysche Küstenwache an, die Menschen zurück in das Bürgerkriegsland

zu bringen.