Gentomate inkognito? - Entscheidung zu Genschere Crispr steht an Von Valentin Frimmer, dpa

25.07.2018 13:45

Gentechnik-Gemüse will in Deutschland fast niemand essen. Im Handel
sind solche Lebensmittel deshalb so gut wie nicht zu kriegen. Ob das
so bleibt, ist fraglich.

Berlin (dpa) - Kaum jemand in Deutschland möchte gentechnisch
veränderte Lebensmittel auf dem Teller haben. Dort liegen könnten sie
künftig trotzdem. Ohne dass es der Verbraucher merkt. Der Europäische
Gerichtshof (EuGH) will dazu am 25. Juli eine weitreichende
Entscheidung treffen.

Bisher gibt es solche Lebensmittel nur in seltenen Einzelfällen zu
kaufen. Es rentiert sich für den Handel schlicht nicht. Verbraucher
können die Produkte an einer speziellen Kennzeichnung erkennen - und
lassen die Finger davon.

Doch bald könnten bestimmte genetisch manipulierte Produkte quasi
inkognito ihren Weg in die Regale finden. Denn vor dem EuGH geht es
um die Frage, ob neue gentechnische Methoden wie bestimmte
Anwendungen der Genschere Crispr unter die strengen Auflagen des
europäischen Gentechnikrechts fallen. Dabei werden gezielte
Änderungen im Erbgut erreicht, ohne dass fremde DNA eingefügt wird.

Methoden wie Crispr gelten als besonders günstig und effizient.
Umstritten ist, ob beispielsweise auf diese Weise veränderte Pflanzen
rechtlich gesehen Gewächsen aus herkömmlicher Züchtung gleichzusetzen

sind. Und ob solche Pflanzen von weitreichenden Ausnahmen von den
GVO-Regeln profitieren. In diese Richtung geht der Schlussantrag des
Generalanwalts Michal Bobek. Er ist zudem der Ansicht, dass die
Mitgliedsstaaten eigene, strengere Regeln für diese Verfahren
aufstellen können sollten. Seine Empfehlungen sind für die Richter
nicht bindend, in der Mehrzahl der Fälle folgen sie ihnen aber.

Verbraucherschützer sind vor dem EuGH-Urteil alarmiert. GVOs müssen
vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft werden und im Handel
gekennzeichnet sein. Je nach Entscheidung des Gerichts fallen künftig
bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht unter die
GVO-Regularien. «Das ist nicht im Sinne des Vorsorgeprinzips. Deshalb
plädieren wir ganz stark dafür, dass diese Produkte als Gentechnik
eingestuft werden», sagt Isabelle Mühleisen von der
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Mühleisen geht davon aus, dass von der Kennzeichnungspflicht befreite
Produkte den Weg in den Handel finden. «Das wird dann ein riesiger
Feldversuch.» Für den Schutz von Umwelt und Gesundheit stehe viel auf
dem Spiel, schreiben 21 Verbände, darunter Umweltschützer, in einer
gemeinsamen Mitteilung. «Bei der Gentechnik geht es um Lebewesen, die
sich vermehren, genetisch austauschen und sich auch unkontrolliert
ausbreiten können.»

Lebensmittel, für die die GVO-Regularien gelten, findet man in
deutschen Supermärkten bislang so gut wie nicht. Die überwiegende
Mehrheit der Verbraucher lehne sie ab, heißt es beim Bundesverband
des Deutschen Lebensmittelhandels als Begründung. Tatsächlich gibt es
in der deutschen Bevölkerung große Vorbehalte: Rund zwei Drittel
halten es laut dem Naturbewusstseins-Bericht 2017 des
Bundesumweltministeriums eher für problematisch, gentechnisch
veränderte Lebensmittel zu essen.

Ausnahmen bei der Kennzeichnungspflicht gibt es schon jetzt. So
müssen Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten
Futtermitteln gefüttert wurden, nicht gekennzeichnet werden. Dazu
gehören Milchprodukte, Fleisch oder auch Eier. Wer hier Gentechnik
ausschließen will, sollte laut Verbraucherschützerin Mühleisen auf
das «Ohne Gentechnik»-Siegel achten.

Noch gibt es in der EU keine Produkte, die von dem EuGH-Urteil
betroffen wären, wie Ricardo Gent, Geschäftsführer der Deutschen
Industrievereinigung Biotechnologie, erklärt. Aber viele Unternehmen
warteten gespannt auf die Entscheidung und stünden in
den Startlöchern. In den USA gebe es beispielsweise eine Kartoffel,
deren Lagerfähigkeit verbessert wurde.

Die Industrie wie auch der Deutsche Bauernverband setzen darauf, dass
die neuen gentechnischen Methoden künftig nicht unter GVO-Regularien
fallen. «In Deutschland und Europa müssen wir moderne
Züchtungsverfahren nutzen können, sonst haben wir im internationalen
Wettbewerb wenig Chancen», sagt der Präsident des Deutschen
Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Er erhofft sich beispielsweise
Pflanzen, die gegen Krankheitserreger oder Hitze resistenter sind.

Und was passiert, wenn künftig doch eine Kennzeichnungspflicht bei
solchen Methoden gilt? Ist das ihr Ende in der Pflanzenzucht? «Dann
hängt es von der Kommunikation ab», sagt Industrielobbyist Gent.
Verbrauchern müsste deutlich gemacht werden, dass solche Lebensmittel
auch Vorteile für sie haben können, beispielsweise durch weniger
Allergene oder glutenfreie Produkte. Sollte das Gericht im Sinne von
Bauernverband und Industrie entscheiden, erwartet Gent modifizierte
Lebensmittel mittelfristig «auf breiterer Front im Supermarkt».